Von Ende bis Anfang

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Schritt für Schritt zurück in die Vergangenheit, durch 20 Jahre hinweg, so geht es im Roman „Die Überlebenden“ von Alex Schulman. Die Brüder Benjamin, Pierre und Nils treffen sich im Sommerhaus am See, um die Asche ihrer verstorbenen Mutter zu verstreuen. Allmählich werden Erinnerungen wach, in denen sich der Leser der Familie annähert. Etwas Furchtbares muss geschehen sein, dass sie vor solchen Barrieren stehen. Auch die Liebe der Eltern, insbesondere der Mutter gibt große Rätsel auf. Erst auf den letzten Seiten lüftet sich der Schleier und gibt etwas so Grauenhaftes frei, dass ich mir gewünscht habe, es besser nicht gelesen zu haben.
Vergleichbar dem rechten und dem linken Fuß beim Rückwärtslaufen gibt es zwei Erzählspuren: die Gegenwart nach dem Tod der Mutter und die Vergangenheit, die in kurzen Episoden aufgedeckt wird, bis hin zur Auflösung der bislang verheimlichten Tragik. Der Abschiedsbrief der Mutter setzt mit Wucht den Schlusspunkt.
In diesem erschütternden Werk hat Schulman viel Autobiografisches verarbeitet. Indem er die Handlung rückwärts erzählt, wird notgedrungen manches wiederholt. Erst fand ich das langweilig, doch schon bald konnte ich mich dem Sog nicht mehr entziehen, denn da wichtige Passagen doppelt erzählt werden, wirken sie intensiver und lassen vieles ein wenig besser verstehen.
Der Text wird zusätzlich von Musik angereichert, die als Soundtrack aufgelistet ist im Lesejournal. Jawohl, ein solches liegt dem Buch bei. Hier kann der Leser Zitate und persönliche Eindrücke festhalten, Reflexionen über die Personen erstellen, ähnliche Erlebnisse aufschreiben. Eine weitere Beigabe sind drei Anstecker mit den Aufschriften „Überstanden“, „Überdenken“, „Überleben“.
Diese Familiengeschichte ist be-, aber nicht niederdrückend, denn solche Geschichten gibt es zuhauf, auch wenn sie meist verschwiegen werden. Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet, das Lokalkolorit deutlich geschildert, der Sprachstil flott, lebendig, flüssig. Den Roman würde ich allen empfehlen, die gern unter die Oberfläche sehen.