Journalistisch geprägt

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tintenteufel Avatar

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Der Roman „Die Unbestechliche“ von Maria von Welser und Waltraud Horbas begleitet die junge Journalistin Alice Meißner von 1968-1977 durch ihr Leben, geprägt durch ihre journalistische Arbeit und ihren Alltag als (faktisch) alleinerziehende Mutter.

Der Roman ist inspiriert durch die eigenen Erfahrungen der Autorin Maria von Welser. Der Leser begleitet die Protagonistin bei ihren Erfahrungen als eine der ersten Journalistinnen in einer männlich dominierten Berufswelt, nimmt teil an ihrem Widerstand gegen sexistische Vorurteile und an ihrem Ringen um die Wahrheit hinter dem Offensichtlichen. Jeder Teil der drei Teile des Buches wird durch eine Doppelseite mit zeitgenössischen Zeitungsartikeln eingeleitet, die das Geschehen geschichtlich verorten. Schließlich spiegelt sich dieses Ringen um Selbstbestimmung und Wahrheit auch noch in immer wieder auftauchenden Bruchstücken aus Alice im Wunderland als Parabel für eine Welt, in der Macht ausgelebt und Wahrheit beliebig umgedeutet werden darf.
Diese Vielschichtigkeit der Geschichte, die Reflektiertheit der Protagonistin und der Bilderreichtum der Sprache machen die Lektüre zu einem Genuss!

Aber leider wird das Potential dieses Ansatzes nicht ausgeschöpft. Vieles wird nur angerissen, bleibt aber im Vagen. Handelnde Personen werden kurz thematisiert, bleiben aber blass und werden nicht ausgestaltet. Alice und ihre Gedanken stehen zu Recht im Mittelpunkt, aber zentrale Personen ihres Lebens wie etwa ihre Tochter oder ihre Freundin Anna werden nie zu echten Charakteren, die dem Leser vertraut werden könnten.
Und auch zentrale Erfahrungen wie die Suizide und Erfahrungen häuslicher Gewalt, denen Alice während ihrer Arbeit begegnet, werden nur kurz angerissen. Dies könnte man als Spiegelbild der typischen journalistischen Arbeit auffassen, bei der alle Themen nur relativ kurz in den Schlagzeilen erscheinen, aber dann durch neue Ereignisse abgelöst werden.

Aber auch die historischen Ereignisse, von denen zu Beginn jedes Teils berichtet wird, blitzen nur kurz auf, sind quasi Bühnenbild. Aber die Autorin nutzt nicht die Gelegenheit, ein wenig mehr auf die Zeitgeschichte und prägende Erfahrungen wie z.B. durch den RAF-Terror und seine Wirkungen auf die Gesellschaft einzugehen. Stattdessen nimmt etwa das cholerische Temperament des Chefs der Sportredaktion in München und die Beschreibung der dortigen Redaktionssitzungen einen sehr großen Raum ein. Meines Erachtens bleibt die Autorin hier etwas Gefangene der eigenen Betroffenheit und verpasst die Chance, ein umfassenderes Bild der Situation in den Siebzigern zu zeichnen, als sich junge Frauen, langsam ihren Platz in der Gesellschaft und im Berufsleben erkämpften.

Trotzdem hat die Lektüre des Buches nicht nur Freude gemacht, sondern auch zum Nachdenken angeregt und ist gerade Frauen sehr zu empfehlen.