Nicht das, was ich erwartet hatte

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Da ich „Die Mitternachtsbibliothek“ von Matt Haig liebe, war ich sehr gespannt auf sein neues Buch. Ibiza, wilde Abenteuer und die lebensverändernde Kraft eines Neuanfangs hatten mich von Anfang an neugierig gemacht.

„Ich werde Ihnen jetzt eine Geschichte erzählen, die selbst ich noch immer kaum fassen kann. Bitte fühlen Sie sich nicht genötigt, mir zu glauben. Aber sie sollten wissen, dass nichts davon erfunden ist. Ich habe nie an Magie geglaubt, und daran hat sich nichts geändert. Aber manchmal ist das, was wie Magie aussieht, einfach ein Teil des Lebens, den wir noch nicht verstehen.“ Zitat aus „Die Unmöglichkeit des Lebens“, Seite 11.

Der Leser begleitet Grace, eine pensionierte Mathelehrerin, die auf Ibiza ein Haus erbt. Dort angekommen, macht sich die alte Dame auf die Suche nach Antworten. Denn die Frau, die ihr das Haus überlassen hat, ist auf mysteriöse Weise verschwunden.

Der erste Teil des Buches hat mir sehr gefallen und mich vor allem nachdenklich gemacht. Ich war schockiert über die Gedanken von Grace. In dem Leben der alten Dame dreht sich vieles um Trauer, Verlust und Schuldgefühle. Aber auch um das Gefangen sein in Routinen, Einsamkeit und dem Verlieren der Lebenslust. Bei mir kam sofort die Frage auf, war es bei meiner Oma auch so? Fühlte sie sich ebenfalls hoffnungslos gefangen und einsam? Wird das irgendwann auch mein Leben sein? Matt Haig schreibt eindringlich und intensiv über die Gedankenwelt der alten Dame. Vieles hat mich erschreckt und auf gewisse Weise hat mich dieses Buch verändert. Denn wenn meine Eltern alt sind, werde ich alles dafür tun, dass sie sich nicht so fühlen. Matt Haig hat hier ein Buch geschaffen, das auf der einen Seite die Augen öffnet und auf der anderen Seite voller Hoffnung und lebensbejahender Passagen steckt. Ich liebe die vielen Lebensweisheiten, die sich zwischen den Zeilen verstecken. Auch das Setting ist grandios. Man spürt auf jeder Seite die Liebe des Autors zu der Insel. Mir hat auch sehr gefallen, wie der Autor das Thema Umweltschutz in die Geschichte einbaut.

Bis zu einem gewissen Punkt hätte das Buch für mich ein Highlight werden können. Doch dann entwickelte sich die Geschichte in eine völlig andere Richtung. Für mich persönlich bedeutet diese Wendung, dass der Autor die Hoffnung auf einen Neuanfang stark eingrenzt. Die Botschaft sollte sein, dass jeder Mensch die Routine durchbrechen kann, dass es immer Hoffnung gibt, egal in welchem Alter, dass es nie zu spät für einen Neuanfang ist. Hier fühlt es sich so an, als wenn man nur als einer der ganz wenigen Auserwählten die Chance auf ein neues Leben hat. Das fand ich unglaublich schade und es hat mir einen Teil des Lesevergnügens genommen. Der Autor driftet im Laufe der Geschichte immer mehr ins Unnatürliche ab und irgendwann war es mir einfach zu viel. Diese Richtung passte für mich einfach nicht zu den Kernaussagen des Buches. Für mich fühlte sich die Geschichte immer gezwungener an, je weiter man sich dem Ende näherte. Ein Großteil des Buches war das genaue Gegenteil des eindringlichen, authentischen Beginns. Mir ist es schwergefallen, die Geschichte weiter zu verfolgen, da diese immer abgedrehter wurde.

„Die See wurde rauer. Ich hörte sie donnernd gegen schroffe Felsen krachen und merkte, wie ich dem Halt von Zeit und Identität entglitt und in die Fluidität des reinen und allumfassenden Lebens stürzte. Einen Moment lang verspürte ich ein Gefühl der Befreiung, […] und dann wurde mir klar, dass ich mich nicht mehr im Hier und Jetzt befand.“ Zitat aus „Die Unmöglichkeit des Lebens“, Seite 216.

FAZIT: Mit „Die Unmöglichkeit des Lebens“ hat Matt Haig eine Geschichte geschaffen, die stark und eindringlich beginnt, dann aber immer mehr ins Übernatürliche abdriftet. Ich habe es geliebt, wie Grace immer bewusster lebt, alles aus anderen Augen betrachtet und die Schönheit des Lebens entdeckt. Die Orangensaft Szene wird mir lange im Gedächtnis bleiben, da diese ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist, wie man auch Kleinigkeiten bewusster wahrnehmen und genießen kann. Doch insgesamt hat mir einfach nicht gefallen, dass hier der Eindruck entsteht, nur wenige Auserwählte hätten die Chance auf ein neues Leben. Ich hätte es deutlich schöner gefunden, wenn der Autor einen anderen Weg gefunden hätte, Menschen wieder Hoffnung zu schenken.