Zäh, schwer, düster, konstruiert.

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wedma Avatar

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Familie Salz erschien mir zu schwer, konstruiert und völlig überladen von Problemen und Ereignissen vor historischem Hintergrund zw. 1914 und 2015.

Ich gewann leider den Eindruck, dass dieses Buch nicht für Leser geschrieben wurde, da sich der Autor kaum darum gekümmert hat, wie es dem Leser bei seiner Geschichte wohl ergehen mag, ob sich so etwas wie Lesevergnügen dabei einstellt. Das Buch wurde meines Erachtens eher zur Befriedigung des eigenen Geltungsdranges geschrieben (a lá ich bin wer, ich kann/weiß was), evtl. mit dem Schielen auf irgendwelche Juries von irgendwelchen Preisverleihungen. Für Leser, die eine erfüllende, packende Familiengeschichte suchen, war es nicht geschrieben.

Man hat keine Figur, mit der man sich identifizieren und durch die Geschichte fiebern kann. V. a. Lola Rosa, die so viel Raum im Roman einnimmt, ist eine gestörte, wenig sympathische Persönlichkeit, die nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen nachhaltig ruiniert.
Es wird gerne zwischen den Zeiten und Perspektiven gesprungen. Es ist zwar keineswegs chaotisch, kommt schon am Ende zu einem großen Bild der Familie Salz zusammen, aber da fragt man sich: Und warum genau musste ich es wissen? Spaß gemacht hat es mit Sicherheit nicht.
Es fängt gut an. Die Ereignisse in 1914 sind auch so einladend geschrieben worden, dass man eine süffige Familiensaga dahinter vermutet. Leider ist es dem nicht so.

Kurze Inhaltsangabe:
Stammbaum Familie Salz. 1 Seite. Sehr hilfreich.
Emma Salz, 2015, 2 Seiten. Guter Anfang. Macht neugierig.
Lola Rosa Salz, 1914, 59 Seiten. Hier erzählt 9-Jährige Lola aus Ich-Perspektive über sich und ihre Familie, die aus München nach Leipzig zieht, da der Vater Hotel Fürstenhof übernimmt. Lolas Mutter hat eine Angewohnheit, Schattenrisse der Familienmitglieder anzufertigen und daraus etwas über die Persönlichkeit dieser Menschen anbzuleiten. Bei Lola findet diese Beschäftigung mit Schatten eine ganz andere Ausprägung. Diese wird sich dann auf eine düstere Art in Frauen der Familie fortsetzen.
Alfons Ervig, 1944-1945, 93 Seiten. Alfons Ervig ist Ehemann von Lola und erzählt aus seiner Perspektive in Form von Tagebucheinträgen, wie es ihm und Lola, beide Schauspieler vom Beruf, mit zwei kleinen Kindern während des Krieges erging. Lola fürchtete Bombardement in Karlsruhe und versuchte, sich und die Kinder im Osten in Sicherheit zu bringen. Hier wird das Thema Flüchtlinge ausführlich behandelt und gezeigt, wie schwer es war, eine Bleibe zu finden. Hilfsbereitschaft der Einheimischen hielt sich sehr in Grenzen. Lola klebte fest an ihren Prinzipien und so war sie von Sudetenland, wo ihre Schwester einen Bauernhof bewirtschaftete, immer weiter gereist und immer dorthin, wo es am gefährlichsten wurde. Hier war es mir zu konstruiert, es gab zu viele Zufälle, die der Familie stets weiterhalfen. Die Besatzer, weder die Russen noch die Amerikaner, kommen da nicht gut weg. Aber die Darstellungen der Russen nehmen viel mehr Raum ein und gießen Wasser auf die Mühlen der heute so populär gemachten Russenphobie.
Aveline Salz, 1959-1960, 94 Seiten. Aveline ist Tochter von Lola und Alfons. Sie erzählt über ihre jungen Jahre, wie sie zu einem Sohn kam, und über ihre Mutter, die täglich etliche Flaschen Löwenbräu intus haben muss, um den Tag zu überstehen. Auch Aveline ist dem Alkohol verfallen, was Auswirkungen auf ihr weiteres Leben und das ihres Sohnes hat. Dieser Part wirkt verstörend, u.a. weil Lola ihre psychischen Probleme auf ihre Tochter überträgt und sie mit einer gruseligen Geschichte tagein tagaus maltretiert. Die Erzählperspektive wirkt auch eher verstörend: Eine Du-Perspektive, als ob Aveline diesen Part sich selbst erzählt.
1989-1990. Hier kommt die Wiedervereinigung ins Spiel. Kurt, Lolas Sohn, der es noch rechtzeitig geschafft hat, von ihr wegzukommen, damit sie auch noch nicht sein Leben ruiniert, lernt seine Frau kennen und besucht seinen Onkel Fritz, Lolas Bruder, in den USA. Hier wird es etwas unterhaltsamer, v.a. diese typische amer. Mentalität wird gut gezeigt: Familie ist wichtig, aber das Geschäft geht vor. Auch hier wird die Geschichte leider mit Schwere der Probleme und Gemüter wenig genießbar und kam mir langatmig wie gekünstelt vor.
Emma Salz, 2015, 46 Seiten. Emma, Lolas Enkelin, Kurts Tochter, erzählt mithilfe von Ich-Perspektive, wie es mit der Familie in der Gegenwart weiterging. Im Jahr 2015 sehen sie sich in Leipzig wieder und tauschen ihre Ansichten über Deutschland und das Familienerbe Hotel Fürstenhof, das nun seit vielen Jahren von einer Hotelkette geführt wird.
Tara Jain, 2017, 5 Seiten. Emmas Tochter schreibt ihrer Mutter einen Brief. Auch hier geht es nicht ohne Schatten.

Fazit: Zäh, schwer, düster, konstruiert. Ich habe mich durchs Buch gequält und fühlte mich wie auf einer dürftigen Party, in der Hoffnung, vllt wird es noch? Meist wünschte ich, ich hätte ein anderes Buch angefangen. Es wurde nicht wirklich und ich war froh, dass es doch (endlich) vorbei war. Der Autor kann was, aber was nutzt es, wenn es keinen Spaß macht, das Ergebnis dieses Könnens zu lesen.