Eine unendliche Geschichte?

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botte05 Avatar

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„Was wäre, wenn man sein Leben wieder und wieder leben könnte, bis man schließlich alles richtig gemacht hätte? Wäre man dann ein glücklicher Mensch? In einer eisigen Nacht im Jahre 1910 wird Ursula Todd geboren, um gleich nach dem ersten Atemzug zu sterben. Doch anders als andere Menschen erhält sie eine weitere Chance und wird erneut geboren: in eine äußerst britische Familie, die mit den herrlichsten Marotten ausgestattet ist und in deren Mitte Ursula mit ihrer „Fähigkeit“ nicht weiter auffällt. Ganz im Gegenteil: Für ihre Mutter ist sie das Kind, das am meisten üben muss, um das Leben meistern zu können. Und so begegnet Ursula den seltsamen Ereignissen in ihrem Leben mit Neugierde, Humor und dem aufrichtigen Bestreben, alles richtig zumachen. Anders als andere muss sie nicht fragen: Was wäre, wenn? Ihr ist es gegeben, ihre Fehler und damit ihr Leben zu korrigieren. Dennoch erlebt sie Verlust, Verrat, Krieg und Tod. Was also soll diese Gabe? Ist es überhaupt möglich, sein Leben fehlerlos zu leben? “ – Zitat Klappentext.

11. Februar 1910 – Ursula Todd wird geboren und stirbt. Damit wäre dies kürzeste Buch einer Lebensgeschichte aller Zeiten. Also zurück auf Anfang. Ursula wird geboren und wächst heran. Aber wieder ereilt sie ein zu früher Tod. Eine erneute Geburt, leicht verändere Parameter, Ursula überlebt die brenzlige Situation, bis ein späteres Unglück ihr Leben zu früh beendet.

Auf den Umstand der erneuten Geburt hat Ursula keinen Einfluss, allerdings entwickelt sie im Laufe ihres Lebens ein „zweites Gesicht“, einen „siebten Sinn“, eine unbenannte, scheinbar grundlose Angst in gewissen Situationen, bis hin zu einem Déjà-vu, was sie veranlasst, instinktiv aktiv in die Geschehnisse einzugreifen. So verändert sie nicht nur ihren Lebenslauf, sondern auch die Schicksale derer, die sie liebt. Es ist wie das Bild des Schmetterlingsflügels, dessen Schlag nicht nur hier etwas auslöst, sondern auch noch bis ans andere Ende der Welt spürbar ist. Aber der Tod / das Schicksal / das Leben lässt sich nicht betrügen. Wenn ein Leben gefordert wird, muss es jemand hergeben.

Kate Atkinson schildert Ursulas Leben als Kreis, ohne Anfang, ohne Ende – die Übergänge verschwimmen und es geht immer weiter. Aber wie oft muss Ursula ihr Leben leben? Bis „der große Plan“ erfüllt ist? Bis es ihr gelingt, ihren Lieben ein längeres, erfüllteres Leben verschafft zu haben? Oder hört das Buch „nur“ auf, weil der Autorin keine weitere Version eines neuen Lebens eingefallen ist? Die letzte Episode kann den Leser mit einer gewissen Zufriedenheit erfüllen, er schließt das Buch mit dem Gefühl „alles ist gut“.

„Die Unvollendete“ ist ein interessantes Buch. Ein Konzept, welches vermuten lässt, dass Ursulas Leben schlussendlich einen ganz gewissen Zweck im „großen Plan“ zu erfüllen hat, störende Kräfte aber ebendies zu verhindern suchen. Kate Atkinson langweilt mich nicht mit einer immer wiederkehrenden Handlung, da durch veränderte Parameter und neue Details ein anderes, vollständigeres Gesamtbild vor meinen Augen entsteht. Geburt – Tod – Wiedergeburt – viele Religionen befassen sich mit diesem Thema, aber hier geht es nicht um Religion. Wenn ich etwas aus diesem Buch mitnehme, dann die Untermauerung der Ansicht, dass jede meiner Handlungen, jeder Schritt im Leben überlegt sein will, denn mein Lebenslauf wird sich auch auf mein Umfeld aktiv auswirken.

Ich vermag nicht zu beurteilen, für wen dieses Buch nun geeignet ist. Dieses Buch beinhaltet eine zum Teil kurzweilige Lebens- und Familiengeschichte mit vielen „Persönlichkeiten“, aber auch gnadenlos realistische geschichtliche Einblicke in die beiden Weltkriege, ihre Vorboten und ihre Nachwehen.

Rezension: Kate Atkinson, Die Unvollendete, Verlag Droemer, Literatur, gebundene Ausgabe, 592 Seiten, 19,99 €, Erscheinungsdatum: 02.09.2013