Die Liebe und die Macht der Werbeindustrie

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„Diamonds are a girl´s best friend“ – diesen Song, gesungen von Marilyn Monroe, kennt wohl jeder aus „Manche mögen´s heiß“. Dass er von de Beers, dem südafrikanischen Diamantenkartell, lanciert worden ist, dürfte wohl kaum jemand wissen.

„Die Verlobungen“, der ehrgeizige dritte Roman von J. Courtney Sullivan, schlägt einen weiten Bogen. Von 1947 bis 2012 reicht die Zeitspanne dieses Buches, in dem die Autorin kunstvoll die Geschichte von 4 Paaren im Generationenabstand miteinander verflicht:

• Evelyn, seit 40 Jahren glücklich und traditionell verheiratet mit Gerald, kann es nicht fassen, dass ihr verwöhnter Sohn seine Familie für eine Barbekanntschaft verlassen hat.
• Der Sanitäter James, verhinderter Rockmusiker, versucht permanent, sich der Liebe seiner Frau Sheila würdig zu erweisen.
• Die Französin Delphine verlässt Paris und ihren Mann und folgt dem jungen Starpianisten P. J. nach New York, was sie bald bitter bereut.
• Kate, die die Konvention der Ehe wie auch die Art der Gewinnung von Diamanten ablehnt, muss die Hochzeit ihres schwulen Cousins organisieren; prompt kommt ihr einer der 14 000 $ teuren Trauringe abhanden.

Umrankt werden diese 4 Erzählstränge durch einen fünften, den um Frances Gerety, Werbetexterin bei der legendären Agentur Ayer & Son in Boston, die 1947 den bahnbrechenden Slogan „A Diamond Is Forever“ für de Beers kreiert hat.

Der rote Faden, der sich durch alle Liebesgeschichten zieht und sie am Ende verbindet, ist denn auch ein Diamantring, der geerbt, verschenkt, verloren, gefunden, gestohlen, verkauft und schließlich zu etwas Neuem gestaltet wird. Eine schöne Symbolik, denn die Liebesgeschichten durch die Zeiten spiegeln das sich wandelnde gesellschaftliche Verständnis von Liebe und Beziehung, von Ehe, Treue und Untreue. Klingt kompliziert? Keine Sorge: Die Autorin handhabt die einzelnen Geschichten so souverän, erschafft für jede so unverkennbares Personal und einen so typischen Erzählton, dass es der Leserin leicht fiel, alle paar Seiten die Geschichte zu wechseln, ohne den Überblick zu verlieren.

Ironischerweise hat die Schöpferin des Diamantenslogans selbst nie geheiratet, wiewohl sie und ihre Agentur in einer Langzeitkampagne über Jahrzehnte, die keinen andern Zweck hatte, als den Absatz von Diamanten zu steigern, maßgeblich die „Tradition“ des Verlobungsrings begründet hat. Seither ist der Diamant das Sinnbild für die Dauerhaftigkeit der Ehe, und eine Verlobung ohne Diamantring am Finger der Braut zumindest in den USA einfach declassé. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Macht der Werbung.

J. Courtney Sullivans gehaltvoller, bestens recherchierter Roman ist geschrieben in einer flüssigen, unangestrengten Sprache und höchst unterhaltsam. Durch ihn erfahren wir nicht nur alles über die 4 C´s, nämlich Carat, Colour, Clarity und Cut, sondern auch eine ganze Menge über den Alltag eines Rettungssanitäters in Boston oder die Nöte einer NGO-Aktivistin. Auch die wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignisse, von Vietnamkrieg über Watergate bis 9/11 fehlen nicht und bilden das historische Grundgerüst.

Leichtigkeit ohne Oberflächlichkeit, literarische Qualität ohne schmerzhaftes Drama: Ein Balanceakt, bei dem sich deutsche Autoren immer noch schwertun, ist Sullivan mit „Die Verlobungen“ perfekt gelungen. Mir wäre weniger Glätte lieber gewesen; trotzdem: Klare Empfehlung!