Aufrüttelnd

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gisel Avatar

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Nach dem Tod ihres Vaters werden die Schwestern Lena und Marie der kranken Mutter von der Fürsorge entrissen und kurz darauf voneinander getrennt. Während Lena auf einem Bauernhof als Verdingkind schwer arbeiten muss und dabei auch Prügel bezieht, trifft Marie es besser, denn sie kommt bei Menschen unter, die sie als Pflegekind aufziehen. Doch es scheint, als ob sich die beiden Schwestern nie wiedersehen werden. – Viele Jahre später erfährt Anna, dass sie adoptiert wurde. Sie macht sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter.

Die Autorin Linda Winterberg nimmt sich in diesem Buch dem schweren Thema der Verdingkinder an, die zum größten Teil ein schweres Leben hatten. Es waren Kinder, die in die Fürsorge gerieten und zur Arbeit weiter vermittelt wurden, meistens an Bauernhöfe, wo sie oft kein freundliches Schicksal erwartete. Die Autorin fügt in ihrem Nachwort einige Worte zu diesen Kindern bei und zu der Ungerechtigkeit, die ihnen zugefügt wurden. So ist es nicht verwunderlich, dass die hier geschilderten Schicksale der beiden Mädchen beim Lesen tief berühren. Ich habe mir daraufhin weitere Informationen dazu gesucht, denn es scheint nicht glaubhaft, dass es solche Lebensläufe bis in die 1980er Jahre gegeben hat – und ja, das hat es.

Weniger gelungen ist der Autorin der zweite Erzählstrang um Anna, die ohne Vorbereitung von ihrem Schicksal als Adoptivkind erfährt. Hier herrscht mir zu viel Schwarz-Weiß-Malerei vor, hier die leibliche Mutter, die sich nach ihrem Kind sehnt, dort die kaltherzige Pflegemutter, die nie ein enges Verhältnis zu ihrem Pflegekind aufnehmen kann. Die Thematik der Adoptiv- und Pflegekinder mit ihren Familien geraten zur Schablone und geht überhaupt nicht in die Tiefe. Selbstverständlich beginnen Kinder, die nicht in der leiblichen Familie aufgewachsen sind, nach ihren Wurzeln zu suchen, und das ist ein schmerzhafter Prozess, der hier auf das Wiederfinden der leiblichen Mutter reduziert wird. In dieser Hinsicht kann ich von diesem Buch nur abraten. Der schlechte Ruf, den viele Pflegefamilien haben, wird unbedacht weiter vertieft.

Meiner Ansicht nach wäre es sinnvoller gewesen, sich bei diesem Buch nur auf die Thematik der Verdingkinder zu stützen, zwei große Themen in einem Roman sind zu viel.

So hinterlässt mich das Buch sehr zwiegespalten. Es rüttelt auf durch die Thematik der Verdingkinder, hier ist es eindeutig und unbedingt weiter zu empfehlen. Ich vergebe nur aus diesem Grund 3,5 Sterne, die ich auf vier erhöhe, mit der Empfehlung, das Thema Pflegekinder in diesem Buch nicht ernst zu nehmen.