Potenzial leider nicht ausgeschöpft

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
mystarrybooks Avatar

Von

Auf „Die Verlorenen“ bin ich bei vorablesen aufmerksam geworden, wobei ich bei dem Cover zuerst dachte, dass es sich um ein Fantasy- oder Jugendbuch handelt. Der Klappentext und die Leseprobe haben mich dann aber schnell neugierig gemacht. Da ich gerne historische Romane und Familiengeschichten lese und das Thema Adoption spannend finde, war mir sofort klar, dass ich das Buch unbedingt lesen möchte. Nachdem ich bei vorablesen kein Glück hatte, wurde das Buch dann auf meine Wunschliste gesetzt. Als ich das Buch dann unerwartet bei netgalley gefunden habe, war die Freude groß.

„Die Verlorenen“ ist ein historischer Roman, der im England des 18. Jahrhunderts spielt. Inhaltlich geht es um Bess und ihr Schicksal als junge, ledige Mutter. Weil sie in Armut lebt und hart arbeiten muss, ist sie nicht in der Lage, ihr Kind aufzuziehen und beschließt daher, ihre Tochter in ein Foundling Hospital zu geben. In diesem Heim können Frauen ihre Neugeborenen abgeben, in der Hoffnung, dass sie in dem Heim aufgenommen werden. Das Loseziehen und eine ärztliche Begutachtung entscheiden dort über das Schicksal der Kinder. Bess hat Glück im Unglück und ihre kleine Clara wird aufgenommen. Dabei gibt sie ihr einen besonderen Gegenstand zur Identifikation mit; denn die Mütter haben die Möglichkeit, ihre Kinder später wieder auszulösen, wenn sie in der Lage sind, für sie zu sorgen.

Nachdem sie sechs Jahre hart gearbeitet hat, um Geld für die Auslöse ihrer Tochter zu sparen, möchte Bess ihre Tochter aus der Findlingsanstalt holen. Dort erfährt sie jedoch nur, dass ihre Tochter Clara schon kurz nach ihrer Ankunft von einer Frau abgeholt wurde – angeblich von Bess selbst. Ihr Name und ihre Adresse wurde hinterlegt. Bess kann sich nicht vorstellen, wer an ihre Daten gekommen sein könnte und schließlich ihre Tochter abgeholt hat. Sie ist verwirrt, wütend und einfach nur hilflos, denn sie weiß nicht, wie sie ihre Clara je zu sich zurückholen kann.

Ab diesem Punkt teilt sich die Geschichte in zwei Perspektiven, die sich im Lauf der Handlung vereinen. Einerseits wird weiterhin aus Bess‘ Perspektive der Kampf um ihre Tochter dargestellt. Auf der anderen Seite gibt es einen Rückblick in die damalige Zeit und in das aktuelle Leben von Clara, die nun als Charlotte in einer anderen Familie lebt. Die beiden Handlungsstränge beginnen zu verschmelzen und Bess beginnt, um ihre Tochter zu kämpfen.

Die Thematik um das Findlingsheim im England des 18. Jahrhunderts hat mir genau so gut gefallen, wie ich erhofft hatte. Schon auf den ersten Seiten des Buches sind die Trostlosigkeit und Verzweiflung der damaligen Zeit spürbar. Bess ist mir sehr schnell ans Herz gewachsen, weil man bereits am Anfang viel über sie erfährt und sich in ihre Perspektive einfühlen kann. Ihr Charakter ist authentisch ausgestaltet und die Handlungen und Gedanken waren für mich total verständlich. Detaillierte Beschreibungen der Umgebung haben dafür gesorgt, dass ich mich sehr gut in die Handlung hineinversetzen konnte. In der zweiten Perspektive fiel mir dies schwerer, was hauptsächlich daran liegt, dass die Hauptperson dort einen besonderen Charakter hatte. Beide Stränge sind aber authentisch ausgearbeitet und laufen geschickt zusammen.

Zwischenzeitlich gab es leider einige Längen, wo die Handlung eher vor sich hinplätschert. Hier hätte ich mir mehr Spannung durch Wendungen gewünscht – für meinen Geschmack gab es zu wenig Entwicklung im Handlungsverlauf, während Nichtigkeiten zu umfangreich dargestellt wurden.

Das Ende hat mir dann recht gut gefallen, weil es zu den vorherigen Entwicklungen passt und stimmig erscheint. Mir war die gefundene „Lösung“ jedoch zu seicht und harmonisch – das Ende dieser Form wirkt beschönigt und konstruiert.

Insgesamt finde ich die Idee hinter dem Buch sowie die Thematik sehr spannend. Aufgrund der genannten Punkte sind die Umsetzung und den Fortgang der Handlung nicht ganz gelungen. „Die Verlorenen“ ist ein unterhaltsames Buch für zwischendurch, bei dem das Potential leider nicht ausgeschöpft wurde.