Überraschend anders

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suppenfee Avatar

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Mitte des 18 Jh. Bringt die junge, unverheiratete Bess ein kleines Mädchen zur Welt. Die Krabbenverkäuferin ist zu mittellos und kann das Kind nicht versorgen. Auch wenn es ihr fast das Herz bricht, Bess muss das Kind im Foundling Hospital abgeben. Doch einen Lichtblick gibt es: Sobald die Mütter eine perspektive für ihre Kinder bieten können, dürfen sie sie gegen eine Bezahlung auslösen und zu sich nach Hause holen. Bess spart eisern und nach 6 Jahren ist es endlich soweit - sie möchte ihre Tochter Clara abholen. Doch im Foundling Hospital erwartet Bess eine böse Überraschung. Clara wurde direkt am Tage nach ihrer Geburt von einer Frau geholt, die sich als Bess ausgab. Doch so schnell gibt Bess nicht auf. Sie will ihre Tochter um jeden Preis zurückholen.

Ausgehend vom Klappentext habe ich eigentlich eine ganz andere Geschichte hinter diesem schönen, verspielten Cover erwartet. Ein bisschen Detektivarbeit vielleicht? Eine lange Suche nach der Tochter? Verschwörungen? Tatsächlich ist dieser Roman eher ruhig geschrieben und schon nach wenigen Seiten ist klar, wer Clara in seine Obhut genommen hat. Alexandra ist wohlhabend, gebildet und traumatisiert von ihrer Kindheit. Sie verbarrikadiert sich mit ihren Bediensteten in ihrem Haus und traut sich nicht hinaus. Die Kluft zwischen ihr und der armen Bess könnte nicht größer sein. Schnell stellt man sich als Leser die Frage bei wem Clara besser aufgehoben wäre. Bei der leiblichen, liebevollen Mutter Bess, die dem Kind aber nur ein sehr bescheidenes und hartes Leben in Londons Gassen bieten könnte? Oder bei der distanzierten aber wohlhabenden Alexandra, in deren Gesellschaft Clara nun schon seit 6 Jahren lebt und die als Mutter kennt?
Stacy Halls fängt mit ihrem Roman gekonnt die Diskrepanz zwischen der armen und reichen Gesellschaft im historischen England ein. Sie erzählt sehr atmosphärisch und besonders mit der gutmütigen Bess, kann der Leser schnell mitfühlen. Durch Perspektivenwechsel wird jedoch auch Alexandras Gefühlswelt näher beleuchtet, ihre Beweggründe sind jedoch durch ihre kalte Art schwieriger nachzuvollziehen.
Letztendlich bin ich froh, dass sich der Roman in eine ganz andere Richtung entwickelte, als ich zunächst erwartet habe. Es hat mich überrascht und die Geschichte in eine andere Ebene gehoben.