Zu viel gewollt

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Es ist selten, dass ich bei Rezensionen auf Cover eingehe, hier scheint es mir nötig. Denn das Cover ist ein echter Eyecatcher und verspricht „bunte Lektüre“, des abgebildeten Käfigs wegen ist man aber gewarnt, dass das nicht durchgängig der Fall sein könnte.

Man befindet sich in der Mitte des 18. Jh. in London. Als die arme Bess Bright eine Tochter zur Welt bringt, gibt sie sie ins Foundling Hospital, ein Waisenhaus. Die Regelung dort sieht vor, dass Mütter ihre Kinder bis zum Ablauf einer Frist „auslösen“ können, wenn sie es sich leisten können, sie selbst großzuziehen. Fortan hat Bess kein anderes Ziel, als zu arbeiten und sparen, um ihre Tochter Clara wieder zu sich zu holen. Als es endlich so weit ist, erfährt sie, dass Clara bereits abgeholt wurde. Nun beginnt der nächste Kampf für Bess: Wer hat ihr Kind?

Ohne zu viel von der Handlung verraten zu wollen, ist es nicht leicht, das Buch bzw. das Leseerlebnis näher zu beschreiben. Da wäre zunächst mal das Genre: Roman, so weit so klar, aber welcher Art genau? Historisch, ja zwangsweise, denn natürlich wird viel vom Leben im London des 18. Jh., der Bedingungen, gesellschaftlicher Konventionen usw. erzählt. Spannend ist in dieser Hinsicht sicher das Foundling Hospital als solches (übrigens real und heute Museum). Aber es ist kein „reiner historischer Roman“, denn es ist ja auch eine Art Schicksalsroman: eine Mutter gibt ihr Kind her im Glauben, es wiederzubekommen und dann ist es nicht mehr da. Natürlich ist das Buch also auch Schicksalsbeschreibung. Aber irgendwie ist es ja auch schon fast ein Krimi, der da angedeutet wird, als Bess sich auf die Suche nach ihrer Tochter macht und versucht, die Umstände aufzuklären, wie ihre Tochter einer anderen Frau „in die Finger fallen“ konnte. Das Buch ist also so manches, davon aber weniges durchgängig. Seine Stärken hat es in der Schilderung der Zeit und der Umstände, wenn man es denn als Stärke sehen will, mir war da einiges zu dick aufgetragen. Die Figuren bleiben für mich farblos, wenngleich das nicht das richtige Attribut ist: das war mir einfach zu dünn für die Dicke des Buches. Ja, mag sein, dass die Menschen damals noch mehr in Konventionen gefangen waren als sie es heute sind und daher scherenschnittartiger gezeichnet. Aber das passt für mich dann wieder nicht mit der ja eigentlich mutig angelegten Figur Bess zusammen, die ja eigentlich diese Konventionen genau zu überwinden versucht. Außerdem hätte das Ganze auch noch mehr Richtung „psychologische Studie“ zu den zwei „Müttern“ Claras gehen können, aber auch das ist es nicht geworden. Was sich anfangs noch ganz spannend ausnimmt, wird zunehmend langatmiger, da helfen dann auch die Perspektivwechsel nicht mehr. Alles in allem bleibe ich ratlos zurück: Eine gute Idee, die streckenweise auch nicht schlecht umgesetzt ist, aber von vielem zu viel und vom wenigen nicht genug – klingt kompliziert? Ja, denn das war die Lektüre für mich ja auch: Ich wollte das Buch mögen, es gelang mir aber nicht, weil ich das Gefühl nicht los wurde „Zu viel gewollt und zu viel Text für zu wenig Botschaft“. Da ich weder die Lektüre empfehlen noch vor ihr „warnen“ möchte (mich hat das Buch nicht erreicht), gibt es „neutrale“ 3 Sterne, soll jeder selbst entscheiden, ob das Lesen sich lohnen könnte.