Ein unglaublich vielschichtiger Roman über Identität, Herkunft und Angst.

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herrfabel Avatar

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Ich muss ja zugeben, ich habe mich mit "Die verschwindende Hälfte" etwas schwer getan. Von den ersten Seiten war ich noch sehr begeistert, doch dann hat Brit Bennett mich irgendwie verloren. Ich würde es nun wahrscheinlich eher auf diese etwas anstrengend Zeit schieben, denn in diesem Roman greift sie sehr viele spannende und wichtige Themen auf und zeigt wie unterschiedlich Leben verlaufen können und zu was Angst führen kann. Gerade unsere Einstellung bzw. Vorurteile gegenüber den Menschen in Verbindung mit ihrer Hautfarbe fordert Bennett mit ihrem Buch, in dem der Rassismus eine große Rolle spielt, ein Stück weit heraus. Die Zwillinge, die in dem kleinen Ort Mallard, in dem Schwarze leben, die von Generation zu Generation immer hellhäutiger werden, aufwuchsen, versuchen sich in New Orleans ein neues Leben und eine Zukunft aufzubauen. Als Sechszehnjährige fliehen die Schwestern Stella und Desiree von zuhause und beschreiten damit auch verschiedene Wege. Während Stella sich für ein Leben als "Scheinweiße" und einen weißen Amerikaner als Ehemann entscheidet, heiratet Desiree Sam, den nahezu dunkelhäutigsten Mann, den sie finden kann. Doch das stellt beide vor zunächst ungeahnte Herausforderungen. Um sich schützen, geht Stella Schwarzen so weit wie möglich aus dem Weg und entwickelt sich nach und nach zu einer Rassistin. Und Desiree befindet sich bereits einige Jahre später erneut auf der Flucht. Gemeinsam mit ihrer Tochter Judy läuft sie vor ihrem gewalttätigen Ehemann davon und kehrt, um sich zu verstecken, nach Mallard zurück...

"Stunden zuvor, als sie sich gerade wieder stritten, hatte Sam sie an der Kehle gepackt und seine Pistole auf ihr Gesicht gerichtet, mit einem Blick, so leuchtend wie beim ersten Kuss. Irgendwann würde er sie umbringen. Das blieb hr bewusst, auch als er sie losgelassen und sie sich keuchend von ihm weggedreht hatte. An diesem Abend tat sie, als würde sie neben ihm einschlafen, dann packte sie, zum zweiten Mal in ihrem Leben, im Dunkeln ihre Sachen."

Gerade jetzt, wo ich diese Rezension schreibe, merke ich wieder wie mich dieser Roman in den Bann ziehen kann, denn Bennett schildert dann doch sehr mitreißend das Leben der Zwillinge und ihrer Töchter, deren Leben aufgrund der Entscheidungen ihrer Mütter sehr stark beeinflusst werden. Wahrscheinlich werde ich diesem Buch noch einmal, sobald alles etwas ruhiger geworden ist, noch eine Chance geben, denn dieser Roman hat wirklich eine unheimliche Kraft... bis dahin verbleibe ich erst einmal bei einer durchschnittlichen Bewertung.