ein bewegend fesselndes Debüt

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elke seifried Avatar

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Schon längere Zeit hat Lukas sich nicht mehr mit seiner flüchtigen Bekannten Ewa getroffen und als sie das Café betritt, denkt er noch, oh ob sie wohl doch einmal Erfolg mit einer Diät gehabt haben könnte. Doch schon wenig später ist klar, dass es nicht die Wunderdiät war, die ihr die Kilos geraubt hat, sondern die Tatsache „Ich habe Krebs, sie können nicht einmal mehr operieren. Alles voller Metastasen.“. Hofft Lukas zunächst noch, dass vielleicht eine andere Therapie Erfolg haben könnte, kommt von Ewa nur ein „Halt die Goschn!“, versehen mit der resoluten Erklärung „Eine Chemo wollen sie machen! Obwohl es eh nix hilft. Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs hilft gar nix. Aber meine schönen Haare könnte ich noch verlieren. Das täte denen so passen!“. Denn sie hat längst schon ganz andere Pläne. Wohnung verkaufen, braucht eh bald keiner mehr, dafür ein Wohnmobil erwerben und auf die vorletzte Reise machen, zu all den Orten, an die sie so schöne Erinnerungen hat, und die schon längst einmal besucht haben wollte. Und genau hier kommt Lukas ins Spiel. „Und du kommst mit! Weil, du weißt ja, ich habe keinen Führerschein.“ Einmal in den Kopf gesetzt, lässt die resolute Ewa auch keine Einwände gelten. „Sei still! Du hast sowieso keinen Job. Und Frau und Kinder hast du auch nicht. Und es ist schließlich mein letzter Wunsch, dass du mit mir fährst.“ Und so hat Lukas, der sich seit seinem Studienabschluss mit Praktika durchs Leben schlängelt, eine Aufgabe, die ihn nicht nur nach Westen, an den äußersten Rand Europas führt, sondern auch vor so manche schwere Herausforderung stellt. Als Leser darf man mit auf die Reise gehen und diese stellt einen langsamen Abschied dar von allem, was Ewa gern hatte dar.

Der locker, leichte, aber dennoch durchaus auch gewählte Sprachstil der Autorin liest sich flüssig und die Seiten fliegen nur so dahin. Konnte ich anfangs auch noch nicht ganz so verorten, wohin sie mit ihren vielfältigen Geschichten vor allem zu Filmen und Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft, die sie Ewa erzählen lässt, mit mir als Leser hinwill, was sich im Übrigen im Verlauf der Geschichte alles klärt, hatte sie mich emotional eigentlich von Anfang an und dann ganz schnell so fest in den Klauen, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Trotz des traurigen Plots, darf man unheimlich viel schmunzeln, wofür die zahlreichen kleinen, pointierten Spitzen, wie z.B. von Lukas ein „ich versuche, kalt zu duschen, drehe dann aber doch warm auf. Man darf sich nicht zu sehr quälen.“, oder auch Ewas schwarzer Humor sorgen. Auch wenn die Botschaft dahinter zu Herzen geht, musste ich einfach schmunzeln, wenn sie sich mit den Worten „Ist ja wurscht. Meine Gedärme sind eh schon hin.“, gleich noch einmal einen doppelten Cognac bestellt. Auch die zahlreichen provokativen Sätze Ewas fand ich gelungen, da kann schon mal ein „Du lebst so vor dich hin ohne Maß und Ziel. Du hast keine feste Arbeit und auch keine Wohnung. Und du glaubst, du kannst dir die Welt schönrauchen.“, oder auch ein „Gerade Leute wie du müssten Frau und Kinder haben. Es geht nicht, dass sich bei uns nur mehr die Trottel vermehren. Wo kommen wir da hin?“, kommen. Ganz oft hat mir die Autorin auch aus der Seele gesprochen, wenn sie Ewa in Rage reden lässt über so manche Schieflage in unserer Gesellschaft. Kinder, die keine richtigen Erfahrungen mehr machen, sondern hinter dem Smartphone versauern, das Versagen der EU im Bereich der Flüchtlingspolitik oder auch so manche rechtsradikalen Strömungen, kommen hier äußerst kritisch aufs Tapet.

Es geht über Straßburg, Verdun, Luxemburg, Lille und Brügge nach Dünnkirchen, um dann über Amsterdam in Richtung Calais und von da übers Meer nach Dublin und zum Endziel der Reise, Dingle, zu gelangen. Manchmal sind es nur kurze Zwischenstopps, in Brügge z.B. nur um eine belgische Waffel zu essen, manchmal sieht man ein paar Sehenswürdigkeiten, die Ewa zuvor schon mit ihrem verstorbenen Ehemann, den sie sehr geliebt hat, zu besuchen und ab und an wie z.B. in Amsterdam darf man sich ausgiebig an neuen Eindrücken der Stadt und Umgebung erfreuen. Die Orte stehen meiner Meinung nach dabei nicht im Vordergrund, aber die Beschreibungen fand ich sehr gelungen. Amsterdam habe ich z.B. ganz genauso erlebt, wie es eine Ewa tut, ich konnte mir die tolle Landschaft in Irland, die Ewa so genießt. toll vorstellen und auch Lukas´ Erklärungen zu Geschichte und Land und Leute haben mir sehr gut gefallen. Dank seines Geschichtsstudiums habe ich so zahlreiche kleine interessante Details erfahren, wie z.B. dass in Buntglasfenster im Mittelalter absichtlich Fehler eingebaut wurden und warum, oder die Gärten in Südengland allesamt von Menschenhand erschaffen wurden und wann. Die Autorin hat hier wirklich bis ins Detail äußerst gut recherchiert und dank Ewa „Lukas, so genau will ich das alles gar nicht wissen.“, wird dies auch an keiner Stelle langatmig.

Ich esse für mein Leben gern, ganz genauso wie Ewa. Ich konnte daher ihre Gelüste, ihr Schwärmen um den Genuss von leckeren Speisen so gut nachvollziehen, hatte dabei nicht selten einen wässrigen Mund. Aber auch in diesem Bezug ist diese Reise ein langsames Abschiednehmen und ich musste daher gleichzeitig mit ihr leiden, weil sie immer weniger essen kann.

Die beiden verbringen auf der Straße und auch an manch einem Abend im Hotel oder auf dem Campingplatz jede Menge Zeit miteinander. Hier erzählt Ewa viele Geschichten. Während sich Lukas mehr für ihre Märchen und Sagenwelt begeistern kann, was nicht ganz so mein Ding war, habe ich ihre Erinnerungen an ihren Opa über alles geliebt. Es wird so deutlich, wie sehr sie an ihm hing, was er ihr bedeutet, wie sehr er sie über ihre schwieriges Verhältnis mit ihren Eltern hinweg getröstet hat, dass ich mich regelrecht auch in den tollen Mann vernarrt habe. Ein äußerst geschickter Schachzug der Autorin, der einen in ein Gefühlschaos stürzt, wie Ewa es auch miterleben musste.

Konnte ich anfangs mit Lukas Lebenseinstellung, in den Tag leben, sich mit der einen oder andren Tüte wegbeamen oder mit Killerspielen die Zeit vertrödeln, nicht ganz so viel anfangen, hat es nicht lange gedauert, bis er mir sympathisch wurde. Denn mag anfangs vielleicht auch Ewas Großzügigkeit und die Aussicht in Amsterdam Großeinkauf machen zu können, sein Antrieb zu der Reise gewesen sein, zeigt er ganz schnell, dass es mit der geplanten Distanz als Ewas Taxler nicht weit her ist, er alles andere als ein übler Kerl ist und er durchaus auch Verantwortung übernehmen kann, was ich ihm hoch anrechne. Er ermöglicht Ewa, die sich schon durch ihre Zivilcourage, ihre resolute und direkte Art von Anfang an in mein Herz geschlichen hat, tolle Tage. Beide Darsteller sind mit ihren Eigenheiten wirklich absolut authentisch gezeichnet, ebenso wie auch alle anderen Darsteller. Erwähnen muss ich vielleicht auch unbedingt noch Colin, den jungen irischen Pfleger, der so viel Verantwortungsbewusstsein, und so viel Herzlichkeit, wie im übrigen seine ganze Familie, ausstrahlt.

Alles in allem ein wirklich tolles, berührendes Debüt, mit dem mich die Autorin ganz schnell in ihren Fängen hatte. Fünf Sterne gibt es da von mir gerne.