Hoffnungsvoll, reflektierend und ein Kommentar auf Lovecraft-Horror

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
books.and.sorcery Avatar

Von

“Die Wächterinnen von New York” von N. K. Jemisin ist eine Neuerscheinung 2022 im Tropen-Verlag, übersetzt von Benjamin Mildner. Das Cover ist wunderbar knallig und passend zum Inhalt gestaltet von David Paire/Arcangel (Foto) und Lauren Panepinto (Design). Die Bindung und das Papier fühlen sich außerdem äußerst hochwertig an und das Buch hat eine tolle Aufmachung - ein Hingucker im Bücherregal.

Es geht um die “Origin Story” der “Avatare von New York”, die durch bestimmte Umstände zum Leben erwachen. Personifiziert werden diese von 5 unterschiedlichen Personen. Gemeinsam müssen sie sich nun gegen das übernatürlich Böse stellen, um ihre Stadt zu verteidigen.

Um es vorweg zu sagen: Das Buch war eine komplett neue Erfahrung für mich. Zwar lese ich durchaus oft Urban Fantasy, Horror und SciFi-Werke, aber überrascht hat mich hier, dass es wirklich viel Bezug auf kosmischen Horror nach H.P. Lovecraft nimmt. Das Cover deutet ja schon darauf hin, denn im richtigen Licht sind so einige seltsame Dinge zu sehen, die sich hinter der Stadt verstecken. Aber oh boi, es ist wirklich tentakeliger, als ich gedacht habe 🦑

Zunächst bin ich wegen dieser Ungewohntheit holprig in die Story reingekommen - die Immersion hat bei mir länger als sonst gebraucht. Ab der Hälfte des Buches ungefähr hat sich das aber gelegt und ich konnte richtig mit den Charakteren mitfiebern.

Der Plot hat mich stark an “Origin Stories” erinnert, die im Superhelden- Genre typisch sind. Nach und nach wurde jede Figur in die Geschichte eingeführt, charakterisiert, und schließlich stießen sie aufeinander. So etwas in Buchform zu lesen hat mir einerseits gut gefallen, teilweise hat die Spannung zwischendurch aber etwas gefehlt. Es hat sich ein bisschen so angefühlt, als würde hier ganz viel Vorarbeitet für den zweiten Teil geleistet worden - was an sich ja nicht schlecht ist.

Sprachlich hat es mir gut gefallen, wobei so einige Dialekte und sprachliche Spielerein im Original vielleicht besser rübergekommen wären. Ich glaube, als jemand, der noch nie in NY war und sich mit der Stadt außerhalb von Medien usw. auch noch nicht allzu viel beschäftigt hat, habe ich so Einiges übersehen.

Besonders großartig fand ich aber die thematischen Schwerpunkte in diesem Buch. Als ich die Geschichte ein paar Tage habe sacken lassen, ist mir erstmal bewusst geworden, wie reichhaltig die Denkanstöße tatsächlich sind. Denn wir haben hier nicht nur einen kompromisslosen diversen Figurencast und Repräsentation auf allen verschränkten Ebenen, sondern deutliche Kommentare auf Gesellschaft und Literatur.

Denn wo Lovecraft die Angst vor dem ultimativen Anderen im Kern hat, beschreibt Jemisin ganz reale Bedrohungen, denen BIPoC in amerikanischen Städten ausgesetzt sind, auf metaphorischer Ebene: die Autorin kommentiert die xenophoben, rassistischen Hintergrund von kosmischem Horror, indem sie ihn umdreht. Bei Lovecraft ist das Böse dunkel, “fremd”, aus einer anderen Welt. Bei Jemisin ist das Böse weiß, hell, direkt unter den Menschen der Stadt und äußert sich in Rassismus, Homophobie, Polizeigewalt und anderen Diskriminierungsformen. Und trotzdem gibt einem dieses Buch Hoffnung in die Menschheit zurück.

Ich möchte an dieser Stelle garnicht mehr kommentieren, da ich dieses Buch unbedingt an alle weiterempfehlen möchte, die sich gerne im literarischen Genre bewegen und keine Angst vor Genreüberschreitungen haben.

Von mir bekommt dieses Buch 4,5 Sterne. Zur Überbrückung muss ich nun ganz dringend Jemisins Broken Earth-Trilogie lesen.