Originelle Idee, in der Umsetzung etwas enttäuschend

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juliav Avatar

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Von N. K. Jemisin hatte ich vorher noch nie gehört, aber der Titel hat mich sofort angesprochen: Ein Fantasy-Roman, der in New York City spielt (eine meiner Lieblingsstädte), von einer preisgekrönten Autorin und mit einem schicken, „zeitgeistigen“ Cover – das war schon mal die halbe Miete. Zudem versprach der Klappentext eine originelle, einzigartige Geschichte: Städte sind lebendig und werden von Avataren verkörpert. New York City hat gleich sechs davon, einen primären und fünf weitere, für jeden Stadtteil einen.
Der Prolog und das erste Kapitel haben meine Erwartungen noch übertroffen: Der ungewöhnliche Protagonist (später stellt sich heraus, dass es fünf weitere Hauptfiguren gibt), N. K. Jemisins rasanter Erzählton und der spannende Einstieg haben mich direkt begeistert. Danach hat sich allerdings Ernüchterung breit gemacht. In den darauf folgenden Kapiteln (also über weite Strecken des Buchs) passiert erst mal wenig: Wir lernen die anderen Hauptfiguren, die Avatare der einzelnen Stadtteile kennen; sie suchen und finden einander, um gemeinsam gegen den Feind, der die Stadt bedroht, zu kämpfen. Und auch wenn das natürlich wichtig ist für die Handlung, so hat es sich in meinen Augen schlichtweg zu lange hingezogen.
Toll fand ich, dass man einiges über die Stadt und ihre Geschichte erfährt. Was mir auch gut gefallen hat, ist der Figuren-Cast, der sehr divers ist, was Race, Age und Gender angeht: Der primäre Avatar der Stadt ist ein obdachloser, Schwarzer junger Mann. Der Avatar von Manhattan ist ein schwuler, nicht-weißer Mann unbekannter Herkunft, vielleicht Latino. Die Avatarin von Brooklyn ist eine Schwarze Anwältin und alleinerziehende Mutter. Die Avatarin von Staten Island ist eine reiche weiße „Tochter“ Anfang Dreißig. Die Avatarin der Bronx ist eine feministische, lesbische Indigene in ihren Sechzigern. Die Avatarin von Queens ist eine junge Inderin.
Leider bleiben die Charaktere, mal abgesehen von ihrer Diversität, relativ blass. Die einzigen, die ich wirklich spannend fand, vielschichtig und ein bisschen „geheimnisvoll“, waren die beiden Männer, der primäre Avatar und Manny, die schon zu Beginn auftauchen. Und abgesehen von zwei oder drei eingestreuten Kämpfen mit dem noch unbekannten Feind passiert wie gesagt wenig. Stattdessen wird viel geredet. Die zuvor genannten Themen nehmen viel Raum ein, stellenweise las es sich wie ein Manifest gegen Rassismus und Diskriminierung. Natürlich sind das wichtige, gesellschaftlich relevante Themen, die in der Literatur verhandelt werden sollten. Aber geschickt verpackt in eine packende Geschichte mit interessanten Charakteren wäre mir lieber gewesen.

Fazit: Origineller Fantasy-Roman mit diversem Figuren-Cast, für New York-Liebhaber*innen oder solche, die es werden wollen. Zwei Sterne Abzug gibts wegen „flacher“ Charaktere und mangelndem Spannungsaufbau.