Intensiv, einfühlsam, poetisch!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
writereadpassion Avatar

Von

Inhaltserzählung:
Wenn man eine Qualle lange genug betrachtet, beginnt sie irgendwann wie ein schlagendes Herz auszusehen. Es ist die Art, wie sie pulsieren, wie sie sich blitzschnell zusammenziehen und wieder ausstrecken. Sie sind wie ein Geisterherz - ein Herz, durch das man hindurchsehen kann, in eine Welt, in der sich alles verbirgt, was man je verloren hat. Dein Herz schlägt, wenn du schläfst, fernsiehst oder am Strand stehst und die Zehen in den Sand bohrst. In diesem Moment bist du so lebendig wie jeder andere Mensch auf der Welt. Und die ganze Zeit über schlägt dein Herz. Es tut, was es tun muss, es vollbringt einen Schlag nach dem anderen, bis sein Auftrag erledigt ist und es innehält. Das mag bereits in ein paar Minuten der Fall sein, und du weißt es noch nicht einmal. Denn manche Herzen schlagen nur ungefähr 412 Millionen Mal. Das hört sich viel an. Aber tatsächlich reicht es nur gerade so aus, um zwölf Jahre alt zu werden. (Seite 7/8)

Du bist ertrunken.
Beim Schwimmen in Maryland.
Vor zwei Tagen.
Das heißt, es hat eine Zeit gegeben, in der du schon nicht mehr bei uns warst und niemand auf der Welt wusste davon. Nur du allein. Du bist im Wasser verschwunden, und keiner hat es bemerkt. Was für ein unglaublich einsamer Moment muss das gewesen sein. (Seite 20)

Autorin:
Bevor Ali Benjamin mit ihrem ersten eigenen Roman einen Welterfolg landete, arbeitete die US-Amerikanerin erfolgreich als Co-Autorin und Redakteurin. Doch seit dem Erscheinen von „The Thing about Jellyfish“ (2015; dt.: „Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“, 2018) scheint auch ihre eigene literarische Karriere besiegelt. Der Jugendroman wurde nicht nur aus dem Stand ein internationaler Bestseller. Er wurde auch für den National Book Award for Young People‘s Literature nominiert und von der New York Times zu einem der 25 bemerkenswerten Kinderbücher des Jahres 2015 erklärt. Die Filmrechte an dem Buch "Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren" hat die Produktionsfirma von Reese Witherspoon erworben. Ali Benjamin lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Williamstown im US-Bundesstaat Massachusetts.


Bewertung:
Manchmal passieren Dinge einfach, hatte Mom gesagt. Es war eine schreckliche Antwort, die schlimmste überhaupt. Manchmal passieren Dinge einfach. Dieser Satz liefert keine Erklärung, und er ist kein bisschen wissenschaftlich. Aber über Wochen hinweg hatte ich nichts anderes. (Seite 21)

Das Cover ist nicht nur wunderschön, es ist auch sehr stimmig zur Geschichte ausgesucht worden. Die blauen Farben sind um das ganze und im inneren Buch verzeichnet. Auch die Quallenzeichnung ist sowohl auf dem Cover wie auch im Innern abgedruckt. Die ganze Aufmachung ist sehr ansprechend gestaltet. Der Schreibstil ist poetisch und leicht, trotz der schweren Themen.

Bisher hatte ich immer gedacht, unsere Geschichte sei unsere Geschichte und nichts anderes. Und nun stellte sich heraus, dass du eine eigene Geschichte hast und ich ebenso. Unsere beiden Geschichten haben sich eine Weile überlappt, lange genug, dass man sie für ein und dieselbe Geschichte halten konnte. Aber das stimmte nicht. Da begriff ich: jeder hat seine eigene Geschichte, immerzu, und keine zwei Geschichten sind gleich. Man ist nie wirklich beieinander. (Seite 20)

Verlust, Freundschaft und der Sinn des Lebens ziehen sich durch die ganze Geschichte. Sie wird von Suzy erzählt, die mit 12 Jahren ihre beste Freundin Franny verliert. Franny stirbt und für Suzy ist nichts mehr wie es vorher war. Auf ihre eigene Art versucht sie den Verlust zu verarbeiten; sie spricht nicht mehr und ist besessen davon, anhand von Quallen herauszufinden, was mit Franny wirklich passiert ist. War es ein Unfall? Wurde sie von einer Qualle gestochen? Suzy tut sich sehr schwer mit dem Gedanken, Franny sei ertrunken, wo sie doch eine hervorragende Schwimmerin war.

Nichtsprechen ist nicht gleichbedeutend mit Nichtredenwollen, wie die meisten Leute meinen. Nichtsprechen ist der Entschluss, die Welt nicht mit Wörtern zu füllen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Nichtsprechen is das Gegenteil von Dauersprechen, was ich zuvor immer gemacht hatte, und es ist eindeutig besser als Small Talk, was alles von mir erwarteten. (Seite 14)

Suzy lässt uns an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben, die manchmal sehr verirrend hin und her schwirren. Durch die sanfte und tiefsinnige Schreibweise lässt uns die Autorin die Erzählung von Suzy aufsaugen und tief nachempfinden. Wir erfahren neben der Gegenwart durch Rückblicke in die Vergangenheit, welche Ereignisse sich zwischen Suzy und Franny vor Frannys Tod ereignet haben, und welche Motivationen hinter Suzys Drang, die Wahrheit zu beweisen, stecken.

Der Trick besteht darin, fest daran zu glauben, dass man es schaffen kann. Wenn man an seine eigenen Fähigkeiten glaubt, selbst wenn es darum geht, etwas Angsteinflößendes zu tun, verleiht einem das beinahe Zauberkräfte. Selbstvertrauen ist wirklich Zauberei. Damit kann man alles durchstehen. (Seite 201)

Die Besessenheit zu den Quallen ist auf fast jeder Seite lesbar, und ab und an kann es einen etwas nerven. Jedoch lässt es sich fließend lesen und knüpft stets einfühlsam an Suzys Gedanken und Gefühlen an. Sie wirkt auf mich sehr erwachsen für ihr Alter, was ihre Art und Intensität zu denken geschuldet ist. An manchen Stellen fehlte mir das Gefühl zu ihren Gedanken und es las sich etwas hölzern.

Menschen sind zwar Neulinge auf diesem Planeten, und wir sind ganz schön zerbrechlich. Aber entscheiden, dass wir uns verändern wollen - das können nur wir. (Seite 220)

Was mir nach Ende des Buches immer noch unschlüssig erscheint, ist, dass nie Infrage stand, ob Franny nicht auch Selbstmord begangen hat. Auch, wenn es nicht ihrem Charakter entsprach, so hat doch Suzys extreme Tat, die vor dem Tot von Franny zustande kam, Franny sehr verletzt und sich von Suzy abgewendet. Tage später erfährt Suzy von Frannys Tod. Da kommt mir schon die Frage des Selbstmord auf; hat Franny es nicht mehr ausgehalten? War Suzys Aktion so erniedrigend und verletzend? Solche Fragen werden nicht einmal gestellt, von niemanden! Das erscheint mir doch unlogisch! Vor allem wundert mich, dass Suzy nicht einmal diesen Gedanken aufgreift, wo sie doch auch mal Schuldgefühle wegen dem Bruch ihrer Freundschaft empfindet, und sich auch die Frage stellt, ob es nicht einfach nur ein lapidarer Unfall war ... Das passt so gar nicht zu Suzys nachdenklichen Charakter, der alles abwägt. Diese ungeklärte Sache empfinde ich als sehr störend. Auch, dass sie am Ende plötzlich mit allen spricht, kommt auf mich sehr salopp rüber.

"Was auch immer du sagen willst, mach den Mund auf, und sag es einfach. Das rate ich dir. Lass die Welt wissen was du denkst. Du wirst eine Antwort erhalten, das kann ich dir versprechen." (Seite 102)


Fazit:
Diese zwei wichtigen Dinge sind unklar geblieben und lassen mich 4 Sterne vergeben, ansonsten wären es volle 5 Sterne. Das Buch ist ein wunderbarer Schatz über unser Sein im Leben und geht der Frage nach dem Schicksal einfühlsam nach. Die Geschichte aus Sicht eines jungen Mädchens zu begreifen und ihre Welt zu entdecken, macht es zu etwas besonderem. Suzy, die Nebencharaktere sowie der Schreibstil nehmen einem vollends ein und lassen uns nachdenklich zurück. Die Freundschaft zu Justin, die sich allmählich entwickelt, hilft Suzy nebenbei, die Dinge zu nehmen, wie sie sind. Dass sich manches nicht ändern lässt und Dinge manchmal einfach passieren. Ein wirklich poetisches und sinnerklärendes Werk, dass ich jungen und älteren Erwachsenen ans Herz legen möchte.

Wer weiss. Vielleicht ist das Ende eines Menschen nicht der Tag, an dem er stirbt, sondern der Tag, an dem man zum letzten Mal von ihm spricht. Wenn man den Namen ausspricht, weiß man nie, ob es nicht vielleicht doch das letzte Mal ist. Und dann ist es wirklich zu Ende. (Seite 194)