Suhlen in der Verbitterung

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Johanna hat ihre Familie verlassen. Sie ist vor über 30 Jahren in ein neues Leben aufgebrochen, was sie zum schwarzen Schaf der Familie macht. Sie hat den Kontakt verloren, aber er wird ihr auch verwehrt und sie kann sich nicht von dem Gedanken lösen, was für eine schlechte Tochter sie ist und wie ihre Mutter und ihre Schwester sie sehen könnten.
„Die Wahrheiten meiner Mutter“ von Vigdis Hjorth hatte sich vielversprechend angehört. Mutter-Tochter-Beziehung sind immer interessant, weil sie nie einfach sind, doch der Roman hat mich nicht abgeholt. So wenig, dass ich ihn nach 100 Seiten abgebrochen habe. Erst dachte ich, es muss doch was passieren, jetzt passiert endlich was, aber dann fantasiert Johanna doch nur Tagesabläufe der Mutter, ergeht sich ihn Mutmaßungen, denkt daran zur Mutter zu gehen, ruft sie sogar an, aber ohne tatsächlich in Kontakt zu treten. Alles nur aus Johannas Sicht, keine Resonanz von Seiten der Mutter oder Schwester und beim Vorblättern hab ich auch keine gefunden. Natürlich könnte da noch etwas kommen, aber ich werde nicht noch weitere 300 Seiten lesen, nur um darauf zu warten.
Hinzukommt, dass fast alles erzählend geschildert wird, nur wenige Szenen, die kaum Spannung aufbauen. Ich weiß nach diesen 100 Seiten bereits, was passiert ist, warum es zum Zerwürfnis kam und wundere mich, warum Johanna diese Verbindung plötzlich so wichtig ist, immerhin hat sie die letzten 30 Jahre auch nicht nach einer Lösung gesucht. Sie verbeißt sich lieber in der Verbitterung, die sie Mutter und Schwester unterstellt.
Ich verstehe durchaus, warum Vigdis Hjorth es so erzählt, dermaßen auf diesem Zerwürfnis herumreitet, denn so ist es mit der Familie. Man kann sie nur schwer abstreifen, sich schwer von ihr lösen. Sie bleibt ein Teil von einem. Die Frage ist nur, warum sich darin über 400 Seiten suhlen?