Ein gelungener Auftakt für Lou & Köni

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„Die weiße Nacht“ von Anne Stern hat mich sofort in den eisigen Hungerwinter 1946/47 hineingezogen. Das Buch verbindet historische Atmosphäre mit psychologisch fein gezeichneten Figuren und einem Kriminalfall, der sich langsam, aber unaufhaltsam entfaltet. Der Kontrast aus Kälte, Ruinen, Trauer und zarten Hoffnungsschimmern zieht sich durch das ganze Buch und macht es zu einem intensiven Leseerlebnis.
Besonders faszinierend fand ich das Zusammenwirken der beiden Hauptfiguren: Kommissar Alfred König mit seiner wortkargen, verschlossenen Art und Lou Faber, die junge Fotografin, deren Blick für Details und Intuition sie zur idealen Partnerin macht, auch wenn sie es zunächst unfreiwillig ist. Ihre Perspektive bringt frische, feinfühlige Noten in eine Welt, die voller Schutt, Schatten und Geheimnisse ist. Die gefalteten Hände der Toten, ein Motiv, das Lou nicht loslässt, wurden von der Autorin wunderbar symbolisch eingebettet: als Bild für Erinnerung, Schuld und den Versuch, Frieden zu finden. Die Handlung nimmt Tempo auf, sobald weitere Leichen auftauchen, und Stern gelingt es meisterhaft, die Spannungsfäden zu verknüpfen, ohne das historische Setting zu vernachlässigen. Man spürt den Hunger, die Not, die Kälte – und gleichzeitig den Wunsch, inmitten der Trümmer einen Funken Menschlichkeit festzuhalten. Das Cover ist ein echter Hingucker und passt perfekt zum Roman. Der Blick durch ein Kameraobjektiv, das eine zerstörte Stadtszene einfängt, spiegelt die Rolle von Lou als Fotografin wider – als jemand, die inmitten der Zerstörung Momente festhält, die sonst im Chaos verloren gingen. Der monochrome Stil verstärkt die düstere Winterstimmung, während das kreisrunde Objektiv wie ein Auge wirkt, das genau hinschauen will, vielleicht sogar mehr sieht, als gut ist. Der Spiralrand an der Seite deutet subtil auf ein Notizbuch oder Album hin – fast wie ein visuelles Beiwerk zu Lous Arbeit als dokumentarische Zeugin. Anne Stern gelingt mit „Die weiße Nacht“ ein atmosphärisch dichter, hervorragend recherchierter Krimi, der sowohl Krimifans als auch Liebhaber historischer Romane begeistern dürfte. Wer die Gereon-Rath-Reihe mag, wird sich hier sofort zu Hause fühlen – und dennoch etwas Eigenes, Eigenwilliges entdecken.
Fazit: Ein spannender, emotionaler und stilistisch feiner Auftakt, der Lust auf mehr Fälle von Lou & König macht.