Schlecht umgesetztes Potenzial

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ninita Avatar

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Liebe Leserin, lieber Leser
dieses Buch war sowohl mein erster historischer Roman als auch mein erster von Charlotte Roth. Auf Basis der Leseprobe, war ich vom Genre bereits überzeugt und auch über Charlotte habe ich nur Gutes gehört. Leider haben mich beide Erwartungen enttäuscht.

Fangen wir mit dem Äußeren an, dem Cover. Auf den ersten Blick sehr hübsch. Mir gefällt vor allem der goldene Aufdruck, der Nina in einem Rahmen einfängt. Leider ist diese bei genauerem Betrachten schlecht ausgeschnitten worden. Besonders in ihren Haaren sieht man noch den Hintergrund, aus dem sie kam. Und ihrem Mantel/Boa wurden auf der rechten Seite ganz die Details genommen. Das ist schade, denn die Gestaltung an sich gefällt mir sehr gut. Aber das wird ein Konzept sein, das sich durch die gesamte Rezension ziehen wird.

Das Thema: Frauenrechte; Frauen in einer Männerwelt, wurde so lala umgesetzt. Es spielt für die Protagonistin zwar eine große Rolle, wird aber im letzten Kapitel so unter den Tisch geworfen/von Nina falsch gedeutet, dass es ihr Erstreben nach einer gleichwertigen Karriere untergräbt. (Dazu später mehr, da es sich hier um ein sehr spezielles Problem handelt) Nina will sich also allein ihren Weg in der Theaterbranche bahnen, dazu nimmt sie; weil Frauenrechte; keine Hilfe von ihrem Liebhaber an. Für meinen Geschmack werden eben diese Rechte zu oft erwähnt und wenn, dann in einer Weise, die sich nicht anfühlt, wie jemand der tatsächlich sein Leben lang untergraben wurde; nicht ernst genommen, beiseitegeschoben, sondern kommt von Nina, die bisher in ihrem jungen Leben nur eine Abfuhr bekommen hat, die man allerdings auch nicht auf ihr Geschlecht zurückführen kann und auch sonst von allen Männern in ihrem Leben gut behandelt wurde. Als ich den Klappentext und die Leseprobe durchgegangen bin, habe ich eine frustrierte, wütende Rebellin erwartet. Kein kleines Mädchen. (Aber meine leichte Abneigung gegen Nina wird später noch erklärt) Aufgrund dessen kam jede Erwähnung vom Thema inszeniert rüber.

Der Schreibstil und die Charaktere fasse ich in einem Punkt zusammen, da sie ineinander übergreifen. Zuerst, der Schreibstil war furchtbar. Distanziert von den Charakteren, ein Erzähler, der einem die Geschichte erklärt, anstatt wirklich reingezogen zu werden und zu Zeiten auch unrealistisch, besonders auf den Dialog bezogen. Dort kann ich bei der Formulierung noch ein Auge zudrücken, da es sich ja um das Jahr 1920 handelt und wer weiß, wie die Leute da geredet haben. Der Inhalt des Dialogs hat sich jedoch kaum vom Erzähler unterschieden. Es fühlte sich nicht so an, als ob der Charakter spricht, sondern dass die Autorin die Charaktere dazu zwingt. Krampfhaft, ist ein Wort, das es sehr gut beschreibt.
Deshalb habe ich auch keine Bindung zu den Charakteren aufgebaut. Ich konnte zwar merken, dass Roth sich viel Mühe mit ihnen gegeben hat, und als Steckbrief kann ich mir sie auch sehr gut und detailliert vorstellen. Aber nicht als lebende Menschen. Und das macht Buchcharaktere doch aus, dass sie in der Vorstellung zum Leben erwachen. Das fehlt mir hier, ausgelöst durch den distanzierten Schreibstil. Ein weiterer Punkt, der dazu beigetragen hat, ist der Cut von emotional geladenen Szenen. Genau da, wo man bei den Charakteren sein möchte, erleben will, wie sie sich fühlen, gibt es einen Cut, ein neues Kapitel, wahrscheinlich aus einer anderen Perspektive und vielleicht wird dann am Ende dieses Kapitels nebensächlich erwähnt, wie man mit der Situation umgegangen ist. Aber da ist das Problem bereits gelöst und es gibt keinerlei emotionale Bindung mehr dazu.

Kommen wir nun zum letzten Punkt. Meiner speziellen Beschwerde.
Das ganze Buch über weigert sich Nina finanzielle Hilfe von ihrem Liebhaber anzunehmen. Dieser scheint das oberflächlich zu verstehen, bis er über ihren Kopf hinweg für sie eine Entscheidung trifft. Zwar mit guten Intentionen und ihrem Besten im Sinne, aber dennoch, ohne sie zu fragen. Nina regt sich, verständlicherweise darüber auf. Im aller letzten Kapitel aus ihrer Sicht, zieht sie diese Einstellung jedoch komplett zurück und ist der Überzeugung das sie selbst die Hände weggeschlagen hat, die ihr helfen wollten. Ich verstehe, worauf die Autorin damit hinauswollte, die Umsetzung allerdings, besonders weil sie bei ihrem Wutausbruch im Recht war, finde ich nicht gelungen.

Ich würde das Buch nicht empfehlen. Es gibt bestimmt bessere historische Romane über Berlin in den 1920ern und sicherlich bessere über Frauenrechte.