Wenn die 50er mit Freundinnen lebendig werden

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elke seifried Avatar

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Von der ersten bis zur letzten Seite hat mich Stephanie Schuster ganz wunderbar unterhalten mit der Geschichte ihrer vier Wunderfrauen. Ich bin restlos begeistert, sicher eines meiner Lesehighlights in diesem Jahr, ich fiebre jetzt schon der Fortsetzung entgegen.

In einem mitreißend, amüsanten Prolog beim „Fröhlich Swingen und Trimmen mit Helga“ bekommt man als Leser die Frauen im Herbst 1953 vorgestellt. Nachdem die Truppe aus dem Pfarrsaal verbannt wurde, treibt Helga diese nun in Luises Delikatessenladen mit flotter Amimusik zu Höchstleistungen an. »Genau, dann bilden Sie doch bitte auch einen Berg, los, hoch mit dem Allerwertesten. Was sehe ich da hinten, Fräulein Zinngraf, das ist ja nicht mal ein Ameisenhaufen, geschweige denn ein Hügel, das kriegen Sie besser hin, hopp.«, der Arztgattin Annabel von Gegenüber sehr zum Missfallen, „Vermutlich vergnügten sie sich alle mit Alkohol oder schlimmeren Drogen, getarnt als Turngruppe.“ Dann geht es erst mal ein paar Monate zurück und in einem ersten Teil wird man dann Zeuge, was bis dahin geschah, wie sich Luise den Traum vom eigenen Laden verwirklicht hat, wie es einer Helga ergeht, die zuhause ausgerissen ist, um einer Verheiratung zu entgehen und mit gefälschter Unterschrift des Vaters heimlich eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen hat, wie es Marie aus Schlesien hierher verschlägt und wie sie sich einlebt und auch warum Annabel so misstrauisch und missgünstig ist. In einem zweiten Teil wirft man dann einen Blick ins Jahr 1954. Viel mehr will ich aber gar nicht verraten, die Buchbeschreibung wird sowieso viel zu lang, weil es so viel Tolles gibt, was ich gerne erwähnen möchte, dass ich mich wirklich bremsen muss.

Richtig begeistert bin ich davon, dass die Autorin mit ihrem Roman nicht nur die Fünfziger Jahre richtig lebendig macht, indem sie eine Helga drei Petticoats übereinander anziehen lässt, man am See Dolomiti-Eis isst und Bluna trinkt oder die Fußballweltmeisterschaft verfolgt, sondern auch Blicke auf den zurückliegenden Zweiten Weltkrieg, die Vertreibungen danach und die Kriegstraumata wirft. Nicht selten hat sie mich so tief bewegt, wenn ich z.B. lesen musste, dass „Elina als Kind nach Ausschwitz gekommen und die Tätowierung mit ihr gewachsen war. Bei ihrer Aufnahme im Camp hatte die junge Frau nur noch achtundzwanzig Kilo gewogen.“, oder von Erlebnissen wie „Ein Soldat sprang aus dem Gebüsch, rannte auf sie zu und rief etwas auf Englisch. »Down and undress«“.

Äußerst gut haben mir auch die zwischengeschobenen Einträge aus Louises Notizheft, in das sie mit Schönschrift schon seit der Hauswirtschaftschule alles Wichtige, gute Ideen, Rezepte oder auch Erlebnisse aus ihrem Laden notiert. Da finden sich schon mal Informationen, wie „die ersten Paragraphen des Lebensmittelgesetzes festgehalten, die erklärten, was Lebensmittel überhaupt waren und dass auch Tabak dazugehörte. Hans ernährte sich also sehr gesund. Darunter stand der Unterschied zwischen Tunke und Mayonnaise, die ihr Kochlehrer, Herr Dasch, aus unerfindlichen Gründen, als »Mayonnäs« bezeichnete“, oder amtliche Bekanntmachungen, wie die für den „Starnberger See u. Würmtal, vom 20. Juni 1953: Feldafing. »Bis Mitte des Jahres wird das Ausländerlager endgültig aufgelöst«

Die Rolle der Frau könnte ebenfalls nicht besser dargestellt werden, als mit diesen vier Frauen, die einen tollen Querschnitt durch die Bevölkerung bilden. Betonen möchte ich hier auch die vielen ins interessante Detail gehenden Informationen, die man so nebenbei erhält. Da wird eben in der Zeitschrift geblättert, „Man warnte vor Heiratsschwindlern, denen viele Damen in der Zeit des Frauenüberschusses zum Opfer fielen. Auf derselben Seite wurde eine Neuheit beworben. In München war eine sogenannte Schönheitstonne aufgestellt worden. Nach zwanzig Behandlungen sei man acht Kilo leichter oder umgerechnet sechzehn Zentimeter dünner. Roll dich schlank! Allein von dem Anblick, wie eine Assistentin einer Dickmadam in die riesige Waschtrommel half, wurde Luise übel. Sie schloss die Augen. Grotesk, kaum waren die Hungerjahre vorbei, setzte man Fett an.“, es wird erwähnt, „Den Führerschein durfte Mutter nämlich nicht machen, so weit ging die Liebe des Vaters nicht. Das erlaube er ihr erst, wenn überall Gummibäume gepflanzt würden, hatte er gesagt.“, oder man muss bitter miterleben, dass gilt, „Eine Alleinerziehende hatte laut Gesetz zwar die Pflicht, sich um das Wohlergehen ihres Kindes zu kümmern, aber kein Sorgerecht.“

Die Geschichte spielt in Starnberg und das Regionalkolorit ist hier ganz vorzüglich eingefangen. »Das Flüchtlingsmensch lebt mit de Brandstetterbriada in am liaderlichm Verhältnis.« »Woos, glei mit olle zwoa?« Dorfklatsch fehlt ebenso wenig wie, dass ab und an einer in Dialekt zu Wort kommen darf. Da badet man im See mit Blick auf die Zugspitze und da „quollen die Sommerfrischler aus den Waggons, als ob es hier Eiscreme umsonst“ und das zu Dutzenden. Zudem gibt es zum Spionieren von Verkaufstricks auch Ausflüge nach München zum Viktualienmarkt oder in den Hertie.

Der lebendig, mitreißende und äußerst spritzige Schreibstil der Autorin hat mich sofort in die Geschichte gezogen und ich konnte das Buch so gut wie nicht mehr aus der Hand legen. Sie beschreibt so anschaulich, dass ich alles wie einen Film vor Augen hatte, die Geschichte lebt regelrecht. Witzig, schlagfertige Dialoge, »Klingt verlockend, aber ich kann nicht«, sagte Silvia. »Ich habe meine Tage.« »Ach, das bisschen Blut wird den See auch nicht rotfärben.« »Spinnst du, davon wird man geisteskrank.« »Wer hat dir das denn erzählt?« »Schwester Kreszentia, meine Lehrerin in der Realschule.«, die ein Bild von der Zeit vermitteln, und auch amüsante Anekdoten wie von ersten Telefonversuchen oder einer wilden Fahrt auf einer BMW mit Beiwagen machen das Lesevergnügen perfekt. Rührende Szenen, da werden Lämmchen schon mal mit der Flasche aufgezogen oder ein Manni sammelt Lebensenergie in Flaschen, schockierende Erinnerungen an Erlebnisse im Krieg oder Szenen, die zeigen, dass der Nazigeist längst nicht aus allen Köpfen verschwunden ist und Erlebnisse sowie Geheimnisse, deren Lüftung richtig zu Herzen gehen, wie z.B. wer Manni, der unter Trisomie 21 leidet, das Leben gerettet hat, machen die Mischung und so das Gesamtpaket zum Highlight. Die Autorin erzählt ihre Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Louise, Hanna, Annabel und Marie. Das lässt einen als Leser zwar allen viel näher sein, führt aber auch zu Weiderholungen. So bekommt man z.B. schon mal erzählt, wie eine Helga im Undossa einen GI umgarnti und wenig später, wie sich ein Ernst, der mit seiner Louise dort zu Abend ist, darüber den Mund verreißt. Ein zweimal hat mich das etwas aus dem Konzept gebracht, was dem Lesevergnügen aber keinerlei Abbruch getan hat, denn gelangweilt habe ich mich bei den kleinen Überschneidungen nie, darf man alles doch stets in einem völlig anderen Blickwinkel verfolgen.

Die Charaktere sind äußerst lebendig, authentisch und individuell gezeichnet. Ich habe es so empfunden, dass auf Louise mit ihrem Laden, den sie sich aufbaut, das Hauptgewicht, zumindest in diesem ersten Teil liegt. Mit ihr habe ich die Geschichte regelrecht gelebt. Ganz besonders ans Herz gewachsen sind mir auch Marie samt Louises Brüdern Martin und Manni, bei denen sie lebt. Helga fand ich vor allem wegen ihrer schlagfertigen Antworten und ihrer kecken Art gelungen, aber auch mit ihr darf und muss man leiden. Arztgattin Annabel hat noch richtig Potential und bei ihr muss man seine Meinung vielleicht noch öfters überdenken, wie bereits geschehen. Aber auch alle anderen Mitspieler sind gelungen dargestellt, bei der biestigen Oberschwester angefangen, die nicht nur Helga das Leben schwer macht, bis hin zu Erich, der seine Louise liebt, aber ab und an auch andere Seiten hat.

Alles in allem ein Lesehighlight, das geradezu nach fünf Sternen schreit.