Gerritsen, Slaughter, Castillo?

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Vor ein paar Wochen bin ich bei Vorablesen auf eine Autorin gestoßen, die ich bis dahin nicht kannte: Linda Castillo. Die Leseprobe ihres Romans „Die Zahlen der Toten“ wirkte viel versprechend. Sie erinnerte mich an die Krimi-Thriller der amerikanischen Bestseller-Autorinnen Tess Gerritsen und Karin Slaughter.

Zum Auftakt gibt es eine interessante Figur und ihren dramatisch geschilderten Tod, dann kommt eine Ermittlerin zum Zuge, die ebenfalls einen sehr guten ersten Eindruck macht. Schafft es Linda Castillo mit diesen und weiteren Zutaten, wirklich in die Liga einer Tess Gerritsen oder einer Karin Slaughter einzusteigen? Dazu gibt es nun wie üblich Stück für Stück mehr.

Inhaltsverzeichnis:

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1. Die Autorin: Linda Castillo

2. Ort und Zeit der Handlung

3. Die Amish/Amischen

4. Die Hauptfiguren

\*\*\*a) Kate Burkholder

\*\*\*b) John Thomasetti

\*\*\*c) Nath Detrick

5. Die Geschichte

6. Themen

\*\*\*a) Wenn zwei Welten aufeinander treffen

\*\*\*b) Familienbande

\*\*\*c) Eine Frage der Schuld

7. Erzählweise

8. Vergleich mit Gerritsen und Slaughter

9. Lesbarkeit der deutschen Übersetzung

10. Zielgruppe

11. Daten zum Buch

12. Pro & Contra

13. Fazit

1. Die Autorin: Linda Castillo

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Wenn man auf der deutschsprachigen Wikipedia-Seite nach Linda Castillo sucht, sucht man noch (Stand August 2010) vergeblich. Wenn man auf die Seite ihres Verlages und schließlich auf ihre Homepage [http://www.lindacastillo.com/](http://www.lindacastillo.com/) schaut, gibt es auch wenig persönliche Dinge über die Autorin zu erfahren.

Es wird erwähnt, dass Catillo schon eine ganze Reise von Buchpresen gewonnen hat, so den Daphne du Maurier Award und die Holt Medaille.

Castillo ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann in Texas. Offenbar ist sie eine Pferdeliebhaberin, eines der Bilder zeigt sie recht rasant reitend. Außerdem hat sie offenbar vier Hunde. Altersmäßig ist sie schwer einzuschätzen, vielleicht in den 30ern, vielleicht erst Ende 20, vielleicht auch schon über 50. Auf jeden Fall wirkt Castillo mit ihren blonden, schulterlangen Haaren recht gut aussehend.

Die Zahl der Toten (Originaltitel: Sworn to Silence) scheint Castillos erster Krimi-Thriller zu sein.

2. Ort und Zeit der Handlung

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Anfangs, beim Blick in die Leseprobe, habe ich nur bemerkt, dass „Die Zahlen der Toten“ in einem kleinen Ort in den USA spielt. Erst beim Lesen des eigentlichen Romans fiel mir auf, dass es eine Gemeinde ist, in der zum Teil eine besondere Menschengruppe, die Amish, leben. Dazu unter Punkt 3 mehr.

Tatsächlich heißt der Schauplatz des Romans „Painters Mill“. Den Ort gibt es offenbar nicht wirklich. Die Autorin Linda Castillo hat das Städtchen mit etwas mehr als 5000 Einwohner in den US-Bundesstaat Ohio verlegt, im Nordosten der USA.

Man merkt an einigen Kleinigkeiten (Handys beispielsweise), dass der Roman einigermaßen in der Gegenwart der 2000er Jahre spielt. Da aber die Hauptfiguren mit teilweise veralteten Geräten (z.B. Computer mit Einwahlverbindung – hatte ich bis zum Juni allerdings auch noch) arbeiten, könnte die Geschichte auch Ende der 90er inszeniert sein.

3. Die Amish/Amischen

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In der Schule haben wir den Film „Der einzige Zeuge“ gesehen. Er hat mich auf eine Gruppe von Menschen aufmerksam gemacht, die sich die Amish/Amischen nennen. Es handelt sich um eine Glaubensgemeinschaft, so weit, so wenig ungewöhnlich. Diese täuferisch-protestantischen Menschen leben jedoch nicht wie unsereins mit Fernseher, Computer und Auto, sie leben noch altmodisch mit Kleid und Hosenträgern, mit Vollbart und Kopftuch und lehnen – weitgehend – Technik und Fortschritt ab.

Für die Amischen stehen neben dem Glauben die Familie, die Gemeinschaft und ihre Abgeschiedenheit ganz oben an. Sie wollen so wenig wie möglich mit der normalen Welt in Berührung kommen.

Die Amischen oder Amish stammen von den Südwestdeutschen bzw. Schweizerdeutschen ab. Da sie eine strikte Disziplin an den Tag legten, die von ihrem Glauben und ihren Prinzipien geprägt war, schlug ihnen in ihrer Heimat zunehmend Feindseligkeit entgegen, die Amish wanderten in die USA nach Pennsylvania aus. Immer noch wird ihre eigene Sprache als Pennsylvaniadeutsch bezeichnet.

Der Name „Amische“ bzw. im Englischen „Amish“ stammt von einem ihrer wichtigen Vertreter, Jakob Ammann ab.

Die spezielle Kleidungs- und Lebensweise der Amischen, , die Tatsache, dass sie sich von den „Englischen“, wie sie die normalen Amerikaner nennen, abschotten und immer noch ihr Pennsylvaniadeutsch sprechen, sind nur einige  der wichtigen Elemente, die in „Die Zahlen der Toten“ eine Rolle spielen.

4. Die Hauptfiguren

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\*\*\*a) Kate Burkholder

Kate Burkholder, mitunter auch Katie genannt, ist DIE zentrale Figur des Romans. Sie ist „Chief“ (= Leiterin) der kleinen Polizei von Painter’s Mill. Kate ist 30, zierlich, hat kurze braune Haare, ist aber trotzdem auch zupackend und zielstrebig.

Die Autorin Linda Castillo belässt es allerdings nicht dabei, aus Kate nur eine kluge und gute Ermittlerin zu machen, sie verpasst Kate auch Ecken und Kanten. So stammt Kate eigentlich aus einer amischen Familie. Mit 14 wurde sie von einem 18-jährigen vergewaltigt. In Notwehr hat sie ihn erschossen, ihre Familie hat das vertuscht und die Leiche ine einem alten Getreidespeicher „entsorgt“. Durch diesen Vorfall war ein Riss zwischen Kate und ihrer Familie entstanden, sie entschloss sich schließlich, die amische Gemeinde zu verlassen und ein normales Leben zu führen.

Zunächst kellnerte sie, dann lernte sie eine junge Frau kennen, die bei der Polizei Telefondienst machte, beide entschlossen sich, eine polizeiliche Ausbildung zu machen. Nach acht Jahren im Streifendienst erhielt Kate das Angebot, in ihrer alten Heimat Painter’s Mill als Leiterin des dortigen Polizeireviers anzufangen. Der Hintergrund war einfach: Die Verantwortlichen in der Stadt wollten jemanden auf diesem Post, der sowohl die amischen als auch die englischen Einwohner des Ortes verstehen konnte und von beiden Seiten akzeptiert wurde.

Doch immer noch lastete die Tat aus ihrer Jugend auf Kates Schultern, die Tatsache, dass sie den 18-jährigen erschossen hatte aber auch der Gedanke, dass dieser Mann offenbar auch andere Frauen vergewaltigt und diese sogar ermordet hatte. Die Mordserie, die Painters Mill vor 16 Jahren erschüttert hatte, riss nach dem Tod des Mannes ab.

\*\*\*b) John Thomasetti

Anfangs erscheint Thomasetti nur ein selbstmitleidiger Säufer. Er ist 42, er lässt sich gehen. Auch John ist Ermittler, doch seine Chefs wollen ihn am liebsten in den Vorruhestand schicken.

Erst mit der Zeit erfährt der Leser die Details, wie es dazu gekommen ist: Ein Drogendealer hatte dafür gesorgt, dass Johns Frau und Töchter vergewaltigt, ermordet und verbrannt worden. Er hatte ihre verkohlten Leichen gefunden und sich schließlich an dem Dealer gerächt. Trotzdem fiel es ihm schwer, sich von da an auf seinen Job zu konzentrieren. Für ihn ist ein Mordfall in Painters Hill die letzte Chance ...

Dort entwickelt er sich zu einem positiven Charakter. Teilweise ist es der Fall selbst, teilweise auch sein Interesse an Kate, das ihn wach rüttelt und ihm zeigt, dass er doch noch ein guter Ermittler ist.

\*\*\*c) Nath Detrick

Detrick ist Sherrif, ein eitler Kerl, der auch gerne politische Karriere machen will. Einerseits spielt er den Großzügigen, versichert Kate, dass er ihr die Führungen bei den Mordermittlungen überlassen will. Doch dann, als es darum geht, vor der Presse eine gute Figur zu machen, gockelt er vor den Kameras herum.

5. Die Geschichte

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Eine junge Frau hat Todesangst. Sie ist gefangen, sie befürchtet, zu sterben, wird gequält. Der Mann, in dessen Fingern sie ist, wirkt überlegen und vorsichtig ... Sie hofft, sie leidet, sie stirbt ...

Szenenwechsel: Im kleinen Ort Painter’s Mill in Ohio sind Kühe entlaufen. Der 24-jährige T.J. Banks soll sie einfangen und sicherstellen, dass vorbei fahrende Autos nicht auf einmal auf ein herum irrendes Rind treffen. Doch dann entdeckt er die Leiche einer jungen Frau. Völlig erschüttert ruft T.J. Verstärkung, ruft auch Chief Burkholder, die Leiterin der Dienststelle. Auch Kate hat selten mit Mord zu tun gehabt. Es stellt sich heraus, dass die Tote gefoltert und brutal getötet wurde. Auf ihrem Körper finden die Ermittler eine eingeritzte XXIII (römische 23) . Der Täter hat der Frau den Hals aufgeschnitten und sie ausbluten lassen.

In Kate werden Erinnerungen wach. Bereits vor 16 Jahren haben vier ähnliche Morde den kleinen Ort erschüttert. Das Unheimliche: Auch damals hat der Täter römische Zahlen in die Körper seiner Opfer geritzt – zuletzt eine IX (9). Kate ist sich sicher: Ein Nachahmungstäter muss am Werk gewesen sein. Denn sie, Kate, damals noch ein 14-jähriges amisches Mädchen, ist vor 16 Jahren von Daniel Lapp vergewaltigt worden. Der war damals 18, arbeitete auf dem Hof der Burkholders mit. In Notwehr hatte Kate ihn erschossen. Ihre Familie war erschüttert, denn ein „Mord“ war in der Gemeinde der Amischen undenkbar. Kats „Datt“ (Vater) verscharte den Leichnam im Getreidespeicher. Doch war Lapp wirklich tot? Hatte er überlebt. Für Kate beginnt eine Gradwanderung. Sie hat Angst, dass ihre „Tat“ von damals aufgedeckt wird. Sie hat aber auch Angst, dass Daniel Lapp noch lebt, dass er erneut mordet, dass ihre Schwester und ihr Bruder in Gefahr sein könnten.

Mit ihrem loyalen Trupp drei regulären und einem Hilfspolizist sowie mit Hilfe ihrer beiden treu ergebenen Telefonistinnen beginnt Kate die Ermittlungen. Ihr fällt es schwer, die Tote zu betrachten, noch schwerer wird es, als der Name der jungen Frau bekannt wird und Kate die Eltern über den grausamen Mord informieren muss.

Der Druck wird größer. Der Stadtrat von Painters Mill will, dass Kate und ihr Team schnelle Ermittlungsergebnisse liefern, die Presse will ebenfalls auf dem Laufenden gehalten werden. Als Verstärkung soll sie mit Sheriff Detrick und zwei von seinen Männern zusammen arbeiten. Der eitle Ermittler wettert die Chance, durch den Fall auch seine politischen Ziele noch besser verfolgen und in der Öffentlichkeit glänzen zu können.

Dann kommt ein Anruf: Zwei Jugendliche, die sich zum Sex in einem leer stehenden Haus verabredet haben, machen einen grausamen Fund: Von der Decke eines Raumes hängt die Leiche einer Frau, bereits halb verwest, voll blut und Kot, grausam ermordet. Auch Kate wird es richtig schlecht, als sie dort eintrifft.

Für sie wird die Bedrängnis nun in mehrfacher Hinsicht noch größer: Der Stadtrat fordert Aufklärung, vom Bureau of Investigation Columbus (BCI) erhält sie den alkolsüchtigen John Thomasetti zur Seite. Die Gefahr, dass ihr eigenes „Verbrechen“, ihre Notwehrtat auffliegt, wird immer gefährlicher. Die neue Tote ist eine Amische, auch hier hat es Kate mit neuen Konflikten zu tun.

Und es gibt noch eine Tote, ausgerechnet die Tochter eines Stadtrates ... Kaum haben sich Kate und Thomasetti etwas angenähert, kaum hat er ihr ihr Geheimnis entlockt und ihr Vertrauen gewonnen, wird Kate aus dem Job gekegelt, Sheriff Detrick soll von nun an die Ermittlungen leiten.

War Thomasetti der Verräter? Wird es weitere Morde geben? Gerät Kates Familie (ihre hochschwangere Schwester, ihr Bruder) in Gefahr? Und wer steckt hinter den grausamen Morden?

6. Themen

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\*\*\*a) Wenn zwei Welten aufeinander treffen

Im kleinen Örtchen Painter’s Mill treffen zwei Welten aufeinander: Die „Englischen“, die ganz normal mit allen heute gebräuchlichen technischen Geräten (Auto, Fernseher, Handy, Internet, etc.) leben und die Amischen, die noch ein Leben wie vor 150 Jahren führen, keine Fotos von sich machen lassen wollen, altmodische Kleidung tragen und nach ihren eigenen Regeln leben.

Der Übergang zwischen beiden Seiten ist schwierig: Die Amischen missbilligen die Lebensweise der englischen und sehen darin Teufelswerk. Wer die amischen Regeln nicht befolgt, wird unter Bann gestellt. Das ist auch Kate passiert. Sie hat einen Menschen getötet. Für die Amischen zählt dabei nicht, dass es Notwehr war, dass ihr Leben selber gefährdet wurde.

Im Verlauf der Ermittlungen merkt man: Die Amischen misstrauen der Polizei, es gibt aber keinen wirklich großen Konflikt zwischen beiden Seiten.

\*\*\*b) Familienbande

Für Kate kommt neben der Gradwanderung zwischen Amischen und Englischen noch ein weiterer Punkt ins Spiel, ihre Familienbande. Obwohl sie die Gemeinschaft der Amischen verlassen hat und unter Bann gesetzt wurde, hielt Kates Mutter den Kontakt zu Kate aufrecht.

Mit ihren Geschwistern jedoch hatte sie kaum noch etwas zu tun. Auch jetzt, da Kate und ihre Schwester Sarah sowie der Bruder Jakob nach langer Zeit wieder miteinander reden, merkt man die Kluft, die zwischen ihnen herrscht. Beide sind zwar bereit, Kate zu helfen, beide machen sich Sorgen um die Schwester. Aber sie missbilligen auch das Leben, das Kate führt.

Auf andere Weise spielen die Familienbande für John eine Rolle. Der BCI-Ermittler hatte ein glückliches Leben mit Frau und Kindern. Aufgrund seiner beruflichen Hartnäckigkeit wurde seine Familie aus Rache getätet. Die Bande, die ihn an seine ermordete Frau und die Tochter knüpfen, hängen wie ein Mühlstein um Thomasettis Hals und scheinen ihn unwiderbringlich in den Abgrund zu reißen.

\*\*\*c) Eine Frage der Schuld

Eine Frage der Schuld stellt sich für Kate und John – beide werden von ihrer Vergangenheit überholt, beide müssen damit fertig werden, müssen ihr Handeln um den Teppich kehren. Obwohl Kate ihren Vergewaltiger Lapp in Notwehr getötet hat, würde sie ihren Job als Polizistin verlieren, wenn ihre Tat an die Öffentlichkeit käme. Auch John ist nicht nur wegen seines Alkholismus und wegen seiner Unzuverlässigkeit nach dem Tod seiner Frau und Töchter in Verruf geraten. Er hat an sich ein wirkliches Verbrecher begangen, indem er den Mörder seiner Familie entführt, gefoltert und ermordet hat. Auch er weiß: Wenn diese Tat an die Öffentlichkeit dringen würde, wäre er seinen Job und seine Zukunft los. Doch er sieht zunächst keine Zukunft mehr für sich, alles ist ihm egal, der Schmerz über den Verlust seiner Mädchen und seiner Frau alles überlagert. Erst mit den Mordfällen in Painter’s Mill und durch die Begegnung mit Kate findet er wieder ins Leben zurück.

7. Erzählweise

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Eine echte Besonderheit des Romans „Die Zahlen der Toten“ ist die Art und Weise, wie Linda Castillo die Geschichte erzählt. Zum einen ist sie sehr dicht dran an ihrer Hauptfigur Kate Burkholder. Denn der Großteil der Handlung spielt in der ersten Person – wird aus Kates Perspektive geschildert. Das ist sehr gut, man hat damit in doppelter Hinsicht Nähe zur Protagonistin.

Die zweite Besonderheit: Die Passagen, die aus Kates Perspektive erzählt sind, sind in der Gegenwart geschrieben „Ich gehe ins Polizeirevier“. Das wäre okay, wenn da nicht noch was wäre – die Passagen, in denen man nämlich an der Seite anderer Figuren ist (Prolog mit dem ersten Opfer, Passagen von und mit John, die Szenen, in denen Opfer zwei und drei gefunden werden). Diese Momente werden dann in der dritten Person erzählt – und in der Vergangenheitsform. Dieser zeitliche Sprung ist wirklich irritierend und für mich das größte Manko dieses Buches.

8. Vergleich mit Gerritsen und Slaughter

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Während der Vorablesen-Leseprobe fiel mir auf: Castillos Geschichte erinnerte mich an zwei bekannte amerikanische Krimi-Thriller-Autorinnen, an Tess Gerritsen und Karin Slaughter. Nach dem ersten Reinlesen und der etwas merkwürdigen Art, wie Castillo zwischen Zeiten und Erzählperspektiven hin und her springt, dachte ich zunächst, dass man merkt, dass dies Castillos Erstling ist, dass es noch Stellen gibt, die hölzern wirken.

Ich habe mich im Laufe des Buches aber auch erinnert, dass ich mich auch bei Gerritsen und Slaughter erst einmal an die Hauptfiguren gewöhnen musste. Kate Burkholder und John Thomassetti sind beides Charaktere mit Brüchen, mit einer nicht glatten Laufbahn. Beide sind nicht fehlerfrei, wirken dadurch menschlich. Gute Figuren sind ein wichtiger Baustein, um eine gute Reihe von Romanen aufzuziehen – und Linda Castillo schriebt ja schon an ihrem zweiten Werk mit Kate.

Die Morde, brutale Taten, erinnern mich ebenfalls an die beiden anderen Amerikanerinnen. Wenn man also nicht zu streng mit der neuen Autorin Castillo ist, kann man durchaus hoffen, dass sie ihre sehr guten Ansätze in weiteren Romanen erfolgreich fortsetzt.

9. Lesbarkeit der deutschen Übersetzung

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Liegen die zeitlichen Sprüngen zwischen den Kate-Passagen in der Ich-Erzähler-Perspektive und den anderen Momenten, die in der dritten Person geschrieben sind, an Castillo oder an der deutschen Übersetzung? Ich vermute ja eher den ersten Fall und will Helga Augustin zugute halten, dass sie den Roman insgesamt flüssig ins Deutsche übersetzt hat. Die einzigen kleinen Brüche sind die amerikanischen Dienstgrad- und Behördenbezeichnungen. Aber es wäre auch komisch, wenn es (für deutsche Leser) statt BIC LKA (für Landeskriminalamt) heißen würde. Andererseits könnte man Kate auch problemfrei als Polizeichefin bezeichnen, das englische Chief ist da eher unnötig.

10. Zielgruppe

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Zielgruppe für „Die Zahlen der Toten“ sind sicher Krimi-Thriller-Fans, insbesondere Leute, die Gerritsen und Slaughter mögen und schätzen. Man muss (aufgrund der brutalen Morde, um die es geht) schon Nerven haben. Wenn das so ist, kann das Buch sicher älteren wie jüngeren, weiblichen und männlichen Lesern gefalllen.

11. Daten zum Buch

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Linda Castillo – Die Zahlen der Toten

430 Seiten

Verlag: Fischer (Tb.), Frankfurt; Auflage: 1 (12. August 2010)

ISBN-10: 3596184401

ISBN-13: 978-3596184408

8,95 Euro.

12. Pro & Contra

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Pro

- starke Hauptfiguren

- sehr spannend

- überraschende Wendungen

Contra

- mal in Gegenwart, mal in der Vergangenheit erzählt

13. Fazit

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Linda Castillo hat mit ihrem Erstlings-Thriller „Die Zahlen der Toten“ einen echten Coup gelandet. Es ist ein wirklich spannender Roman mit großer Sogwirkung. Die verdankt die Geschichte vor allem den starken Hauptfiguren. Castillos neu erdachte Serienheldin Kate Burkholder ist eine Figur mit Brüchen, die schon einige Schicksalsschläge im Leben mitgemacht hat, die immer noch Fehler begeht und damit menschlich wirkt. Sie ist einfach nur sympathisch. Ähnliches gilt für John Thomasetti, den männlichen Gegenpart.

Zusätzlich zu den guten Charakteren hat Castillo sehr spannde Mordfälle geschrieben. Sie beschert dem Leser überraschende Wendungen. All das hat durchaus Potential, sich mit Amerikas Thriller-Bestseller-Autorinnen Tess Gerritsen und Karin Slaughter messen zu lassen.

Es gibt nur kleine Haken an der Sache: Die Erzählweise: Durch die Ich-Erzähler-Perspektive schafft Castillo phasenweise große Nähe zu Kate. Aber sie schwenkt auch um in die Vergangenheitsform – und das irritiert. Das irritiert vor allem dort, wenn Szenen mit Kate und John zunächst aus der einen, dann auf der anderen Perspektive geschrieben werden und so innerhalb des selben Augenblicks von der Gegenwarts- in die Vergangenheitsform gesprungen wird. Das wirkt unlogisch.

Trotzdem empfehle ich Linda Castillo und „Die Zahlen der Toten“ gerne weiter und vergebe die Bestwertung!