Die Schatten der Vergangenheit

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Martin und Claudia haben gleich zwei Dinge gemeinsam: sie sind alleinstehend mit Kindern und haben beide mit den traumatischen Folgen ihrer Vergangenheit zu kämpfen. Für Martin ist es Liebe auf den ersten Blick, als er Claudia aus der Ferne sieht. Dennoch werden zwei Jahre vergehen, ehe sie das erste Mal persönlich miteinander kommunizieren und feststellen, wieviel sie verbindet. Sowohl Martin als auch Claudia hadern mit der Gegenwart, fühlen sich unvollkommen und ausgegrenzt – unabhängig von ihren beruflichen Erfolgen. Eine glückliche Zukunft scheint ausgeschlossen, ehe man keinen Frieden mit der Vergangenheit geschlossen hat und seine seelischen Wunden hat heilen lassen.

Dies war der erste Roman, in welchem ich mehr über die Verfolgung der Roma und Sinti zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs gelesen habe und ich war erschüttert über die Gewalt und Diskriminierung, die völlig grundlos über die Roma hineingebrochen ist. Familien wurden auseinandergerissen, Menschen willkürlich ermordet, Kinder misshandelt…einfach schrecklich. Speziell bei einer Szene, in der einem kleinen Jungen die Finger abgehackt werden, habe ich nur begrenzt weiterlesen können, weil die Intensität der Schilderung mich beinahe das Buch hätte abbrechen lassen.

Den Schreibstil würde ich als bemüht poetisch und tiefgründig beschreiben. Oftmals habe ich über Ausdrücke in den Gedanken der Figuren irritiert den Kopf geschüttelt, da die Wortwahl einfach nicht authentisch wirkte. Künstlerisch, ja – aber eben nicht realistisch.

Erzählt wird in mehreren Zeitebenen. Ich habe höllisch aufpassen müssen, da diese Erzählzeiten sich nicht einfach zwischen Vergangenheit (Martins Mutter Rubina) und Gegenwart (aus Martins Perspektive) abwechseln, sondern wild durcheinanderwirbeln: 2008, 1957, 2008, 1939, 1976, 2008, 1939-41, ... Mir war dieses Hin und Her zu viel.

Das gesamte Werk wirkte auf mich enorm melancholisch und schwermütig – nun könnte man sagen: 'Logisch, es geht ja auch um ein ernstes Thema.' Trotzdem finde ich, dass auch bei ernsten Themen kein Schleier der Negativität nach dem Lesen zurückbleiben sollte.

Mit der männlichen Hauptfigur (Martin) bin ich leider überhaupt nicht warmgeworden, im Gegenteil. Er hat mich fürchterlich genervt. Seine Kinder verzieht er und erlaubt ihnen allerlei Dinge, die seine Ex-Frau (aus gutem Grund) verbietet und untergräbt damit die elterliche Autorität, anstatt sich wie ein verantwortlicher Vater zu benehmen. Claudia schenkt er aus heiterem Himmel ungefragt ein Haustier (!) – was als nette Geste gemeint sein soll, aber nur einmal mehr zeigt, wie unreif er ist. Tiere sind doch keine Gegenstände, die man mal eben spontan übergibt. Je mehr ich von Martin gelesen habe, desto eher habe ich hinsichtlich seiner Ex-Frau gedacht: 'Gott sei Dank ist sie den Typ los, der ist ja nicht zum Aushalten!‘' Ja, er hat in der Kindheit Traumatisches erlebt - aber das entschuldigt nicht sein gesamtes Verhalten. Die weibliche Hauptfigur der Gegenwart (Claudia) war mir sympathisch; ihre Gedanken, speziell im Hinblick auf ihre Mutter, waren nachvollziehbar und logisch geschildert. Insgesamt sind die Figuren mir fremd geblieben; am meisten nahegegangen sind mir noch die in der Vergangenheit angesiedelten Erlebnisse, die aus Sicht von Rubina erzählt worden sind. Die farbenfrohen Eindrücke der Indien-Reise waren ebenfalls ein Lichtblick.

Fazit: Eine interessante Romanidee zu einem bisher wenig beleuchteten historischen Aspekt. Aufgrund der Umsetzung (wirre Zeitsprünge, teilweise unsympathische Figuren, offene Fragen) hat mich das Werk insgesamt leider nicht überzeugen können.