Interessante Geschichte zur Frage, wer man eigentlich ist

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well_ireadaboutit Avatar

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Geschichtliche Romane findet man bei mir im Bücherregal eher weniger, trotzdem hat mich die Leseprobe dieses Buches hinreichend überzeugt, dass ich es haben wollte.
Die Handlung an sich ist schon sehr interessant: Ein Mädchen, das in einem kleinen Dorf in Cornwall aufgewachsen ist und die Natur dort liebt, erfährt kurz vor dem Tod seiner Großmutter, dass es einer reichen Familie angehört, und soll nun nach London ziehen, um dort mit dieser zu leben. Das sagt die Schwierigkeiten doch schon voraus! Ich jedenfalls hatte meinen Spaß daran, zu verfolgen, was alles passiert. Zwar hat mich die "Vorgeschichte" in Cornwall noch nicht ganz so sehr mitreißen können, dafür die Geschehnisse in London umso mehr. Trotzdem weiß ich, dass die Zeit in Cornwall nötig ist, um zu erfahren, wie Florrie eigentlich aufgewachsen ist, denn, wie der Titel schon sagt, geht es hier um zwei Leben einer Person und diese zwei Leben könnten unterschiedlicher nicht sein, es gibt hier viele Kontraste und beide haben ihre Vor- und Nachteile. In der Zeit in London passiert dann auch mehr. Florrie muss sich in das Leben eingewöhnen, mit der Familie Grace zurechtkommen, gegen die aufkeimenden Gefühle für ihren Cousin kämpfen. Und gleichzeitig gibt es da noch ein paar Geheimnisse und kleinere Intrigen, die alles spannender machen. Ich mag besonders, dass der Ausgang des Buches nicht so vorhersehbar ist - einzelne Sachen konnte ich mir zwar schon denken - , nicht nur die guten Seiten aufzeigt, sondern auch sehr viele schlechte, sowohl von Geschehnissen als auch von Personen.
Letzteres erkennt man deutlich an Florrie beziehungsweise Florence, der Protagonistin. Sie ist auf jeden Fall eine starke Persönlichkeit, weiß sich durchzusetzen und ist es deswegen gewohnt, das zu bekommen, was sie möchte. Schon allein dadurch wurde sie mir sympathisch. Außerdem ist sie auch ein wenig besonders, kann Menschen auf den ersten Blick durchschauen und manchmal Einblicke in ihre Zukunft erhaschen. Was ich aber am besten umgesetzt finde, ist ihr Wandel von Florrie Buckley, dem wilden Mädchen aus dem Moorland, hin zu Florence Grace, der Dame aus London. Es ist ganz eindeutig kein leichter Weg dorthin, aber er ist unglaublich interessant und kommt sehr authentisch rüber. Und oft habe ich mich gefragt, welche Florence mir lieber ist. Das ist auch eins der großen Themen in diesem Roman, wer Florence denn eigentlich ist, was sie ausmacht. Das ist etwas, dass die Protagonistin sehr oft beschäftigt. Aber gerade weil Florence sich selbst so unsicher ist und auch öfters mal Schwächen zeigt, mochte ich sie.
Auch die anderen Charaktere sind gut beschrieben, wobei manche Charaktere natürlich wichtiger sind als andere. So kamen mir beispielsweise Hesta und Stephan, Lacey und auch Rebecca immer ein wenig blass vor, obwohl sie doch - zumindest in Abschnitten - eine größere Rolle gespielt haben. Andere Charaktere wiederum haben bei mir einen stärkeren Eindruck hinterlassen und irgendwie kann ich von keiner Person am Ende sagen, dass ich sie so gar nicht mochte. Sie alle hatten ihre Beweggründe für das, was sie getan haben und oft kam es auch zu Entwicklungen, die ich so wirklich nicht geahnt hätte. Welche Figuren ich besonders interessant fand, waren Turlington und Sanderson, die Brüder und gleichzeitig Cousins von Florrie. Sie sind zwar total unterschiedlich vom Wesen her, aber beide sehr sympathisch.
Sanderson ist eigentlich immer nett zu allen, versucht es allen recht zu machen und stellt seine eigenen Wünsche dabei hintenan. Dabei vergisst man selbst als Leser, dass er vielleicht eigene Wünsche hat und es ihm schlecht gehen kann, was erst wieder auffällt, wenn Sanderson das explizit sagt. Er ist eine Konstante in Florries Leben und war irgendwie auch eine schöne Konstante in diesem Roman.
Turlington ist da ganz anders. Da, wo Sanderson versucht, es allen recht zu machen, streut er noch Salz in die Wunde, bringt auch öfter mal einen bissigen Kommentar und ist allgemein als das schwarze Schaf der Familie Grace bekannt und das, wo er doch der Erbe ist. Turlington bringt sich oft in Schwierigkeiten und man kann sich nicht wirklich auf ihn verlassen, obwohl er oft versucht, sich zu ändern.
Was den Schreibstil angeht, finde ich ihn für das Genre passend und auch gut zu lesen. Es ist so, dass Florence ihre Geschichte quasi im Nachhinein erzählt, heißt, das Buch ist aus der Ich-Perspektive in der Vergangenheit geschrieben. Ich würde nicht sagen, dass der Schreibstil unglaublich spannend ist, aber trotzdem hat mich das Buch teilweise fesseln können. An anderen Stellen fand ich es dann wieder etwas langatmiger, aber meistens hat es viel Spaß gemacht, das Buch zu lesen, dadurch, dass der Stil so flüssig ist.
Insgesamt habe ich mich wirklich gefreut, "Die zwei Leben der Florence Grace" lesen zu können. Ein paar kleinere Dinge haben mich etwas gestört, wie der etwas langwierige Start in die Geschichte und dass die Spannung auch zwischendrin manchmal etwas abebbt. Aber ansonsten ist der Roman wirklich gut!