Kritischer Blick hinter die Kulissen

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bücherfreund54 Avatar

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Folgt man Susanne Matthiessen, dann lautet das erste Gebot der Insel Sylt für alle Einheimischen: „Du sollst das schöne Bild nicht stören und den Urlaubern einen entspannten Aufenthalt ermöglichen und ein Sylt präsentieren, das ihren Träumen nahekommt.“ Mit ihrem zweiten Syltroman verstößt die Autorin allerdings erneut gegen dieses Gebot. Mit ihrem Blick hinter die Kulissen, die den schönen Schein wahren sollen, legt sie den Finger in manche Wunde der Sylter Gesellschaft.
Dabei nimmt die Schärfe, mit der sie ihre Sicht von Sylt beschreibt, gegenüber dem ersten Roman durchaus zu. Gleichwohl, das sei vorweg gesagt, bleibt die Insel ihre geliebte Heimat (wie dies schon der Romantitel deutlich macht, ein Vers aus dem Lied „Westerland“ der Gruppe „Die Ärzte“).
Wie schon in dem ersten Roman sind es die vielen Bausünden, die den Zorn der Ich-Erzählerin wecken. Sie erzählt von den Immobilienhaien, die bei der Bebauung der Insel vor nichts Halt machen, auch nicht vor einem Kulturgut wie dem Steinzeitgrab im Denghoog.
Sie berichtet weiterhin von Naturkatastrophen wie der Sturmflut vom November 1981, bei der die Insel droht, auseinanderzubrechen, und dem massenweisen Seehundsterben 1982. Letzteres wird von den Inselbewohner gar nicht als Naturkatastrophe wahrgenommen, sie fürchten vielmehr um das Image der Urlaubsinsel.
Auch vermeintlich private Ereignisse werden erzählt: Der Missbrauch ihrer besten Freundin Pfuschi, deren Leben dadurch aus der Bahn gerät. Das Schweigen ihres Bruders, der zwar als Rettungsschwimmer tätig ist, sie aber nicht unterstützt, die Entscheidung, den Missbrauch nicht öffentlich zu machen.
Ein Kapitel ist der Großmutter gewidmet, die sich herausnimmt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ganz zum Entsetzen ihrer Familie.
Diese unvollständige Auswahl zeigt das Bemühen der Ich-Erzählerin, die vermeintliche Idylle als das zu entlarven, was sie ist, nämlich ein schöner Schein.
Daneben wird aber immer wieder der hohe Stellenwert deutlich, den die Insel für die Ich-Erzählerin als Heimat, als „Ankerpunkt“ in ihrem Leben hat. Und dieser Zwiespalt, in dem sie lebt, macht den Reiz der Lektüre des Romans aus.