Sehr gute Darstellung, mögliche Deutung
Laura Wiesböck beschäftigt sich in ihrem neuen Buch mit der Verfügbarkeit von digitalen Diagnosen, also von Erklärungsmustern für eigene psychische Probleme. Sie zeigt auf, wie psychische Erkrankungen nicht nur enttabuisiert, sondern auch regelrecht inszeniert werden. So werden Identifikationsmöglichkeiten geboten, welche entlastend und entschuldigend wirken können, aber auch die Gefahr bergen, die Bandbreite psychischer Befindlichkeiten nicht als normal zu akzeptieren und auszuhalten, sondern jede Abweichung gleich pathologisch zu begründen. Diese inflationäre Nutzung von Begrifflichkeiten wie Tabu, Trigger u.ä. dient dabei nicht einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern führt in eine neue Normalität und Gesellschaftsfähigkeit psychischer Probleme, eine identitätsstiftende Rollenzuschreibung sowie vermeintliche Gesellschaft ebenfalls Betroffener in den sozialen Medien.
Parallel dazu zeigt sie auf, wie der Anspruch auf individuelles Wohlbefinden ebenso wächst wie die selbstverständliche Inanspruchnahme von Auszeiten und Freiheiten im eigentlich normalen Alltagsstress anstelle der Einübung von Stressbelastbarkeit und Resilienz.
Als Soziologin fokussiert sie sich naturgemäß auf die gesellschaftlichen Aspekte dieser Entwicklungen und weist z.B. die ökonomischen Interessen der Influencer im Dienst ihrer Kooperationspartner auf und argumentiert, dass die individuelle Wellness-Suche problematische Arbeitsbedingungen erträglich mache und so im Dienst eines neoliberalen Kapitalismus eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftssystem und seinen Anforderungen ausbremse.
Die gut recherchierten und in einen Kontext gesetzten Beobachtungen in den ersten zwei Dritteln ihres Buches haben mich sehr angesprochen. Im letzten Drittel des Buches ist ihr Background als feministische und politisch eher links angesiedelte Soziologin unverkennbar. Ihre Kapitalismus-Kritik ist meines Erachtens ein möglicher, aber nicht der einzige Deutungsansatz. Ohne auf das Instrumentarium von Nachbarwissenschaften wie etwa der Psychologie zurückzugreifen, wäre hier etwa im Sinne einer verstehenden Soziologie auch die Frage nach den gesellschaftlich bedingten Gründen möglich, weshalb das Individuum diese neuen Deutungsangebote bereitwillig annimmt statt an indivduellen Lösungen zu arbeiten. So etwa spielt vielleicht die mit der Individualisierung einhergehende Vereinsamung und fehlende soziale Einbindung und freundschaftlicher Austausch eine Rolle. Aus der Perspektive der Religionssoziologie ließe sich auch die Frage nach dem Wegbrechen gesamtgesellschaftlich anerkannter Institutionen und ihrer Deutungsangebote stellen. (Früher hätten die christlichen Kirchen etwa im leidenden Christus eine Identifikationsfigur angeboten). Kurz Laura Wiesböck spricht in diesem Büchlein ein topaktuelles Thema an, lässt aber einige Deutungsmöglichkeiten außer acht.
Parallel dazu zeigt sie auf, wie der Anspruch auf individuelles Wohlbefinden ebenso wächst wie die selbstverständliche Inanspruchnahme von Auszeiten und Freiheiten im eigentlich normalen Alltagsstress anstelle der Einübung von Stressbelastbarkeit und Resilienz.
Als Soziologin fokussiert sie sich naturgemäß auf die gesellschaftlichen Aspekte dieser Entwicklungen und weist z.B. die ökonomischen Interessen der Influencer im Dienst ihrer Kooperationspartner auf und argumentiert, dass die individuelle Wellness-Suche problematische Arbeitsbedingungen erträglich mache und so im Dienst eines neoliberalen Kapitalismus eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftssystem und seinen Anforderungen ausbremse.
Die gut recherchierten und in einen Kontext gesetzten Beobachtungen in den ersten zwei Dritteln ihres Buches haben mich sehr angesprochen. Im letzten Drittel des Buches ist ihr Background als feministische und politisch eher links angesiedelte Soziologin unverkennbar. Ihre Kapitalismus-Kritik ist meines Erachtens ein möglicher, aber nicht der einzige Deutungsansatz. Ohne auf das Instrumentarium von Nachbarwissenschaften wie etwa der Psychologie zurückzugreifen, wäre hier etwa im Sinne einer verstehenden Soziologie auch die Frage nach den gesellschaftlich bedingten Gründen möglich, weshalb das Individuum diese neuen Deutungsangebote bereitwillig annimmt statt an indivduellen Lösungen zu arbeiten. So etwa spielt vielleicht die mit der Individualisierung einhergehende Vereinsamung und fehlende soziale Einbindung und freundschaftlicher Austausch eine Rolle. Aus der Perspektive der Religionssoziologie ließe sich auch die Frage nach dem Wegbrechen gesamtgesellschaftlich anerkannter Institutionen und ihrer Deutungsangebote stellen. (Früher hätten die christlichen Kirchen etwa im leidenden Christus eine Identifikationsfigur angeboten). Kurz Laura Wiesböck spricht in diesem Büchlein ein topaktuelles Thema an, lässt aber einige Deutungsmöglichkeiten außer acht.