Außergewöhnlich...

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mike nelson Avatar

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Shida Bazyar hat in ihrem neuen Werk "Drei Kameradinnen" außergewöhnliches geleistet! Dem großen Lob der Literaturkritik kann ich mich da nur anschließen. Klar passt die Geschichte gut in unsere Zeit. Wir wissen, dass Rassismus gar nicht geht und auch, dass rechtsaußen eine hochgefährliche Hohlköpfigkeit lauert; wir wissen auch, dass Teenager zuweilen noch unausgereifte Weltbilder haben und sich die Radikalität der einen oder anderen Anschauung mit den Jahren wohl relativieren wird. Und zwischen den Geschlechtern läuft es auch nicht immer optimal. Aber Shida Bazyar gelingt es auf eine andere Art, uns (weißen und so viel wissenden und politisch korrekten) Leser:innen den Spiegel vor die Nase zu halten. Das Buch kommt zuweilen wie ein nettes Teenager-Geplaudere daher... und dann kommt sie ganz unvermittelt, diese sensible Beobachtung der Menschen und ihrer Beziehungen, die Beschreibung von Ansichten; die Fähigkeit Dialoge so zu Papier zu bringen, dass man das Gefühl hat, direkt danaben zu sitzen. Und dann die plötzlichen Zwischenstopps, in denen die Autorin sich direkt an die Leser:innen wendet, stellenweise erschreckend entlarvend, erwischt sie uns doch bei bestimmten Gedanken, von denen sie geahnt hat, dass wir sie an genau dieser Stelle denken. Ja, das Buch hat mich angesprochen und berührt, nicht nur, weil wir als Leser:innen auch zu Zeugen des Schreibprozesses werden, nicht nur wegen des Stilmittels der direkten Ansprache, sondern weil es auch die Spannbreite zwischen dem radikalen Rassismus von Rechtsaußen (während die Handlung sich zuspitzt läuft der NSU-Prozess) und dem stillen Rassismus in uns selbst - der als Subtext oft genug mitschwingt, ohne dass wir es bemerken - ausleuchtet. Und dann noch diese feinsinnige Ironie: "Seit es legitim war, als Mann in aller Öffentlichkeit nach Gummibärchen und Spice-Girl-Deo zu riechen, hatte ich den Eindruck, dass wir der Gleichheit der Geschlechter einen Schritt näher gekommen waren."
Eigentlich werden nur die wenigen Tage vor der Hochzeit einer Freundin beschrieben und am Ende brennt ein Haus und eine der drei Kameradinnen muss in den Knast... aber so ganz nebenbei bekommt man ein Psychogramm unserer aktuellen gesellschaftlichen Lage aus der Perspektive von Menschen 'mit Migrationshintergrund' an den Kopf geknallt. Unbedingte Leseempfehlung!!!