Das Feuer der Wut

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ravicus Avatar

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„Ich bin nicht: das Mädchen, das ihr euch angucken könnt, um mitleidig zu erklären, ihr hättet euch mit den Migranten beschäftigt und es sei ja alles si dramatisch, aber auch so bewundernswert. Ich bin nicht: das Mädchen aus dem Ghetto. „
Am 15.04.2021 im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschien der neue Roman von Shida Bazyar. Die 1988 in Hermeskiel geborene Autorin studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim und bereits ihr Debütroman „Nachts leise in Teheran“ bekam mehrere Literaturpreise. Nun schildert sie mit „Drei Kameradinnen eindringlich, wie es ist, wenn man nicht deutsch gelesen wird. Kompromisslos, provokant und beinahe anmaßend konfrontiert sie uns dabei auch mit unseren eigenen Vorurteile, gibt jedoch auch eine Perspektive, wie man sich Hass, Hetze und Gewalt entgegenstellt.
Das Buch beginnt mit einem einseitigen Artikel über einen mutmaßlich terroristischen Brandanschlag. Verübt von Saya, einer der „Drei Kameradinnen“. Ein Großteil erzählt von den alltäglichen Erfahrungen von drei migrantischen Freundinnen. Kasih, Hani und Saya. Aus Kasihs Perspektive bekommen wir erzählt, wie es zu dem Brand kam, wie sich solch eine Wut aufstauen konnte. Es sind alltägliche Erlebnisse, in denen ihre Herkunft immer und überall in Frage gestellt wird. Zwischen den einzelnen Erzählungen aus den Erfahrungen der drei spricht uns Kasih immer wieder direkt an. Dies gibt einem das Gefühl, das Buch wäre an einen selbst gerichtet. Die Erzählweise des Werkes ist nicht chronologisch, was gewöhnungsbedürftig ist aber eine bewusst gewählte Form der Autorin. Eine Besonderheit des Romans ist, das man zwar viel über die Charaktereigenschaften der Protagonistinnen erfährt, doch wenig über ihre Hintergründe. Dies ist bewusst gewählt, um sie möglichst ohne Vorurteile betrachten zu können.
„Drei Kameradinnen“ ist also ein weiteres Buch, welches über die Erfahrungen mit Rassismus und anderen Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen berichtet. So manch einer mag sich nun die Frage stellen: „Brauchen wir das?“ Ja, denn wir können als nicht Betroffene nicht nachvollziehen, wie es sich anfühlt, sein Leben lang unterdrückt, angegriffen, beleidigt und unter Generealverdacht gestellt zu werden. Doch wir können Bücher wie diese lesen und versuchen zu verstehen, uns anhören, was diese Menschen zu sagen haben und sie dabei unterstützen. Wir können und sollten uns mit unserem eigenen Rassismus auseinandersetzen. Bücher wie diese helfen uns dabei.
Die Art und Weise, wie die Autorin mit uns spricht ist interessant. Sie erzählt nicht nur von den Erfahrungen, sondern spricht uns immer wieder direkt an. Und diese direkte Ansprache ist es, was dazu bringt, seine eigenen Verhaltensweisen und Denkmuster zu überdenken. Und dabei geht Shida Bazyar mit uns nicht zimperlich um. Sie ist provokant, anmaßend und teils überheblich. Sie schert uns Lesende über einen Kamm, sie weiß es besser. Man fühlt sich an manchen Stellen gar angegriffen. Sie spiegelt uns ein Verhalten wider, welches Betroffene tagtäglich erleben. Der Roman ist dadurch, aber auch durch einige Szenen teils schlicht anstrengend. Lesende werden mit dem konfrontiert, was Menschen, die nicht deutsch gelesen werden, alltäglich erleben. Trotz allem kommt das Gefühl auf, dass das Buch falsch adressoert ist. Die Menschen, die genau so sind und so denken, wie die Autorin meint, werden das Buch nicht lesen. Doch vielleicht ist es auch nicht Ziel. Vielleicht ist es einfach nur der Ausdruck von Wut, die Menschen wie sie haben. Die Wut die letzlich zu den Geschehnissen geführt haben, worüber der Eingangsartikel berichtet hat.
Die Erzählungen aus dem Alltag der drei Freundinnen, anhand dessen die Erfahrungen geschildert werden, sind gut ausgewählt und atmosphärisch geschriebe. Jedoch wird an einigen Stellen teils sehr weit ausgeholt, was nicht immer nachvollziehbar ist. Wer Romane mit einem klassischen Spannungsbogen und Aufbau erwartet ist hier fehl am Platz. Das Buch lebt von dem langen Teil der verschiedenen Erzählungen, es lebt davon beim Lesenden selbst Wut zu schüren, zu stören, zu provozieren, ja, gar zu nerven. Denn nur so können die Erfahrungen nachvollzogen werden.
„Drei Kameradinnen“ erzählt nicht nur von den alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus. Es vermittelt gar ein Gefühl, wie es sein muss in dieser Haut zu stecken. Es berührt, es schreit, es rüttelt wach. Es mag kein Buch sein, was angenehm zu lesen ist, aber es ist ein Buch, das jeder gelesen haben sollte. Es ist eine Stimme, die gehört werden sollte.