Ein starker Roman

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Shida Bazyars Roman beginnt mit einem Zeitungsartikel, aus dem hervorgeht, dass Saya, eine der drei Protagonistinnen, einen Brand gelegt hat, bei dem mehrere Menschen ums Leben gekommen sind. Dass die Perspektive des Artikels sehr einseitig ist, fällt auf, obwohl man den Rest der Geschichte noch nicht kennt.
Diese wird rückblickend von Kasih erzählt. Sie gehört zu einem Trio von Freundinnen, die sich seit ihrer Kindheit kennen und zusammen in einer Siedlung am Rande der Stadt aufgewachsen sind, nachdem die Familien nach Deutschland geflohen sind. Im Laufe des Romans beschreibt Kasih den Alltag dieser drei Frauen, der von Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Vorurteilen und von Rassismus geprägt ist. Sie erfahren eine doppelte Marginalisierung, da sie als Mädchen bzw. als Frauen täglich Sexismus ausgesetzt sind, sich mehr anstrengen müssen als die Männer und weil ihr Migrationshintergrund ihnen ein ums andere Mal Türen verschließt, die für andere offen stehen.

Ihnen wird ein Platz in der Mitte der Gesellschaft verwehrt. Das drückt sich beispielsweise darin aus, dass in der Schule die Bestnoten den Kindern ohne Migrationshintergrund vorbehalten sind oder dass Kasih trotz eines sehr guten Studienabschlusses keinen Job findet. Kasih fasst es folgendermaßen zusammen: “Dass man sie nach Maßstäben bewertet hatte, die sich von den allgemeinen Maßstäben zu unterscheiden schienen”. Das wohl stärkste Symbol dieser Marginalisierung ist die Buslinie, die die Siedlung, in der die Mädchen aufwachsen, mit der Stadt verbindet. Eines Tages wird diese einfach gestrichen. Die Verdrängung hat ihren Höhepunkt erreicht. Rassismus, und das zeigt der Roman, ist ein institutionelles, ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Die Sprache und der Stil des Romans wirken fließend, authentisch und direkt. Kasihs Stimme lenkt die Wahrnehmung des Lesers. Sie spricht ihn direkt an und ist teilweise provozierend, vielleicht sogar anmaßend, aber gerade dadurch gewinnt das Erzählte an Eindringlichkeit. Denn dem Leser wird vor Augen geführt, dass er Teil der Gesellschaft ist, in der die beschriebenen Probleme so tief verankert sind. Er kann sich von der Geschichte nicht loslösen, sich nicht getrennt von ihr betrachten, sondern wird in sie hineingezogen. Dadurch entsteht ein engerer und stärkerer Bezug zur Wirklichkeit.

Man könnte vielleicht behaupten, dass der Roman manchmal zu viele Themen gleichzeitig anzusprechen versucht, doch ich hatte nie das Gefühl, dass dabei der Fokus verloren geht und deshalb hat es mich nicht gestört. Der Roman ist meiner Meinung nach eine gelungene Gesellschaftskritik, der mit seiner Erzählerin eine Stimme gefunden hat, die es verdient hat, gehört zu werden.