Provokant und herausfordernd, aber wichtig

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gluexklaus Avatar

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„Die weltoffene Metropole aber ist jetzt der Ort, an dem du deine Sprache leise sprichst, dein Dragoutfit erst im Taxi anziehst, deine Kippa zu Hause lässt.“

Kasih, Hani und Saya sind schon seit der Schulzeit Freundinnen. Sie haben ähnliche Erfahrungen gemacht, im Alltag immer wieder diskriminierende Situationen erlebt, mussten oft doppelt so hart arbeiten wie andere, um ihre Ziele zu erreichen. Die drei Frauen sind zu einer Hochzeit eingeladen, treffen sich nach langer Zeit wieder, denken gemeinsam an vergangene Zeiten. Am Abend der Hochzeit kommt es zu einer schlimmer Brandkatastrophe. Und Saya, die so engagiert gegen Rassismus kämpft, scheint am Feuer nicht ganz unschuldig. Was geschah wirklich?

Autorin Shida Bazar schreibt alles andere als gefällig und einnehmend aus der Sicht von Kasih in Ich-Form. Es ist nicht immer leicht, ihren Gedanken zu folgen, geht sie doch nicht streng chronologisch vor, sondern bringt ihre Gedanken mitunter ungefiltert und ungeordnet zu Papier. Sie erzählt zudem von Ereignissen, die nicht wirklich stattgefunden haben, aber stattfinden hätten können. Da ist es eine ziemlich Herausforderung, den Überblick zu behalten. Für die Leser wird es oft unangenehm. Immer wieder ist von „wir“ und „ihr“ die Rede. „Wir“ das sind Kasih und ihre Freundinnen, „ihr“ die Leser, die trotz nach außen getragener Toleranz und Gutmenschlichkeit, tief drinnen vorurteilsbehaftet und rassistisch sind, meint zumindest Kasih.

„Die drei Kameradinnen“, die wie im Krieg die Kameraden gemeinsame Kämpfe im Alltag ausfechten müssen, sind recht unterschiedliche Charaktere. Hani ist anpassungsfähig, arbeitet extrem hart und viel, lässt sich in ihrem Job als „Mädchen für alles“ ausnutzen, ohne sich zu beschweren. Pädagogin Saya hingegen ist permanent wütend. Sie hat sich vorgenommen, gegen jede Art von Rassismus, sei er offen oder versteckt, zu kämpfen:
„So wird die Welt nicht besser. Ich will aber nicht tun, als wäre die Welt in Ordnung, das ist doch das, was die weiße Dominanzgesellschaft von uns will. Sie will, dass wir so müde werden, dass wir aufhören, darüber zu reden, und dass wir nicht weiterkämpfen. Wir haben allen Grund zu kämpfen! Wir müssen dafür kämpfen, nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden.“
Saya ist besessen davon, Nazis zu jagen, liest im Internet Chatprotokolle, geht dabei aber so rigoros vor, dass sie mitunter übers Ziel hinausschießt und jeden weißen Mann als Feindbild betrachtet. Kasih, die dritte im Bunde, hat einen Einserabschluss in Soziologie und findet dennoch keinen Job. Sie zeigt sich in ihren Schilderung nicht als die ruhige, zurückhaltende, angepasste Person, die sie möglicherweise im „echten“ Leben sein mag. Als Erzählerin wirkt wie „auf Krawall gebürstet“, scheut nicht davor, ihre Leser verbal zu attackieren und zu beschuldigen.
Wenn sie hingegen von sich und ihren persönlichen Erlebnissen schreibt, wirkt sie ganz anderes als die Person, die durch die Handlung führt und ihre Leser angreift. Wer Kasih wirklich ist, bleibt unklar und undurchsichtig.
Die drei Freundinnen kennen sich sehr gut, wissen, was die jeweils anderen ausmacht und umtreibt. Sie sind wie ein „Schutzraum“ für einander, in dem sie sein dürfen, wie sie sind. Aber so intensiv die Verbindung ist, sie hat auch negative Aspekte: „Was bringen uns unsere Schutzräume, wenn wir uns in ihnen eher unseren hässlicheren Seiten hingeben?“

Herausfordernd, provokant, krawallig, aber auch irgendwie beeindruckend. So war mein erster Eindruck, als ich anfing, den Roman zu lesen. Es ist durchaus ein Statement, seine Leser zu attackieren, ihnen ständig unter die Nase zu reiben, dass sie eben nicht alles verstehen können, weil sie keine Ahnung habe, wie Migranten in Deutschland leben. Weil sie nicht wissen, dass Migranten ständig mit Rassismus konfrontiert sind, der oft nicht offensichtlich, aber selbstverständlich ist. Anfangs fühlte ich mich von Kasih angesprochen, musste zugeben, dass auch ich -wie jeder andere Mensch - Vorurteile habe. Doch je härter und anklagender der Ton wurde, desto mehr habe ich mich von ihrem „Ihr“ distanziert, wollte mir den Schuh nicht mehr anziehen. Gibt es denn überhaupt ein „Ihr“ und „Wir“? Kasih schreibt selbst: „Wir sind nicht so anders. Das denkt ihr nur, weil ihr uns nicht kennt.“ Grenzen verschwimmen. Und natürlich ist Kasihs Sicht selbst auch eine subjektive und Kasih zeigt anschaulich mit ihrem häufigen „Ihr“ und „Wir“, dass sie ebenfalls ausgeprägte Vorurteile hat.

Dieses lauten Buch endet mit einem noch lauteren Paukenschlag, aber für mich nicht unbedingt mit einem stimmigen. Die Intention der Autorin kann ich durchaus verstehen, aber dennoch empfand ich das Ende nicht als „rund“ und überzeugend.
Das Buch ist in vielerlei Hinsicht ein Experiment. Shida Bayzar hat viel zu sagen, nutzt dabei unkonventionelle, ungewöhnliche Mittel, verliert sich allerdings manchmal in Nebensächlichkeiten, schweift dann ab und schaffte es nicht immer, mich bei der Stange zu halten. Sie möchte berechtigterweise für wichtige Themen sensibilisieren, tut dies aber auf etwas zu provokante, laute, plumpe und aggressive Weise. „Drei Kameradinnen“ ist ein etwas anderes Buch, das zweifellos Eindruck auf mich gemacht hat, wenn auch nicht durchgehend im positiven Sinn. Ein Buch, das mich gleichermaßen zwiegespalten, rat- und sprachlos, betroffen, ein wenig verärgert und sehr nachdenklich zurücklässt.