Publikumsbeschimpfung in Buchform

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evaczyk Avatar

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Uff! Das war meine erste Reaktion, als ich "Drei Kameradinnen" von Shida Bazyar aus der Hand legte. Und irgendwie hält diese Reaktion auch Tage später an, während ich versuche, eine Meinung zu diesem Buch zu formulieren, das mich mit ausgesprochen zwiespältigen Gefühlen zurückgelassen hat. Ich hätte es gerne gemocht, die Themen sprechen mich an: Frauen, Freundschaft, multikulturelle Gesellschaft, Alltagsrassismus und der Umgang damit. Und ich mochte die Schreibweise der Ich-Erzählerin an sich - die Schnoddrigkeit, den sprunghaften Erzählfluss, das Atemlose.

Aber - und das ist ein großes Aber - genervt hat mich die unaufhörliche Schwarz-Weiß-Malerei, die Larmoyanz, die schablonenhafte Aggression, die Publikumsbeschimpfung in Buchform, die einfach mal voraussetzt, dass die Leser die "anderen" zu sein haben, die jetzt gefällig mal sehen sollen, wie es ist, wegen der ethnischen Herkunftsbiografie schief angesehen zu werden. Als ob nicht auch Menschen mit migrantischem Hintergrund zu dem Buch greifen könnten. Oder Biodeutsche, die es auch nicht leicht haben, weil sie queer sind oder eine Behinderung haben oder Altersdiskriminierung ausgesetzt sind oder einfach aufgrund ihrer sozialen Herkunft nie eine Chance hatten.

Denn auch wenn die drei Freundinnen Saya, Hani und Ich-Erzählerin Kasih, deren Biografien nur angedeutet werden, verkörpern die unterschiedlichen Chancen, auch wenn sie alle in der gleichen Siedlung aufgewachsen sind: Hani, deren Eltern aus einem nicht näher beschriebenen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen sind und deren Vater auf dem Bau arbeitete, hat "nur" Realschulabschluss, arbeitet in einem hippen Start-Up als Sekretärin und wehrt sich nicht dagegen, permanent von den Kollegen ausgebeutet und mit zusätzlicher Arbeit überschüttet zu werden. Hani ist auch diejenige, über die wegen ihrer Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft auch in einem leicht verächtlichen Ton geschrieben wird.

Kasih hat Soziologie studiert und ist ganz erstaunt, dass es nach Abschluss des Studiums nicht mit einem Arbeitsplatz klappt, während Saya, die ständig Rassismus sehende und dagegen wütende, zur jet-settenden Kosmopolitin geworden ist, in Metropolen auf verschiedenen Kontinenten gelebt hat und offensichtlich sehr erfolgreich ist. Wer da für sich in Anspruch nimmt, unterprivilegiert und aus rassistischen Gründen benachteiligt zu sein - ich weiß ja nicht.

Saya ist auch der dreh- und Angelpunkt in Kasihs Gedanken, die aus reißerischen Medienartikeln zitiert, in denen angedeutet wird, dass Saya im Gefängnis ist, dass ihr ein islamistischer Brandanschlag vorgeworfen wird. In Rückblenden wird von den letzten Gesprächen der drei Freundinnen erzählt, von Jugenderinnerungen, vom gemeinsamen Besuch bei der Hochzeit einer Bekannten aus der Siedlung, in der sie aufgewachsen sind. Und zwischendurch immer wieder Ansprache an den Leser, häufig in aggressiv-herablassendem Tonfall nach dem Motto, ey du Ignorant, war doch alles ganz anders, aber natürlich peilst du es nicht, weil du nur Stereotypen im Kopf hast und so verpeilt bist, dass ich dir jetzt sagen muss, was Sache ist. Brauch ich das? Nein.

Es gibt eindrückliche Szenen in "Drei Kameradinnen", die unverbrüchliche Freundschaft, das füreinander einstehen, der Bezug zu den NSU-Morden und dem Umgang von Polizei und Justiz mit den Opfern und ihren Angehörigen. Leider, leider gerät all dies in den Hintergrund, wenn ich am Ende nach einer neuen Wendung der Erzählung das Gefühl habe, auf mehr als 300 Buchseiten verarscht worden zu sein. Wenn Bazyar ihren Lesern einen entlarvenden Spiegel vorhalten wollte (und überhaupt, wer ist denn "der/die Leser*in???) hat sie auf diese Weise der Sache, um die es ihr ja wohl ging, keinen echten Gefallen getan. Denn trotz aller unbestreitbaren guten und interessanten Aspekte dieses Buchs bleibt am Ende dieses genervt-verärgerte"Uff".