Zwiespältiger Eindruck

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leukam Avatar

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Shida Bazyar konnte mich mit ihrem 2016 erschienenen Debutroman „ Nachts ist es leise in Teheran“ überzeugen. Deshalb bin ich mit großen Erwartungen an ihr neues Buch herangegangen.
Im Mittelpunkt stehen drei junge Frauen, die sich seit Kindheitstagen kennen. Aufgewachsen sind sie in einer Siedlung, in der viele migrantische Familien lebten. Sie haben die gleichen Erfahrungen mit ihrem Anders- Sein gemacht, sind immer wieder mit Vorurteilen, Misstrauen und Zuschreibungen konfrontiert worden, fühlten sich diskriminiert in ihrem Alltag. Sie gehen aber unterschiedlich mit diesen Erfahrungen um. Da ist Hani, pflichtbewusst und zurückhaltend. Sie versucht, sich mit ihrer Situation zu arrangieren, ohne sie groß zu hinterfragen. Dagegen steht Saya, eine selbstbewusste und kämpferische Frau, voller Zorn auf eine Gesellschaft, in der Nazis wieder salonfähig sind. Sie sieht überall Beispiele für Diskriminierung und Rassismus und geht engagiert dagegen an. Kasih ist die Erzählerin im Roman. Sie hat Soziologie studiert und ist nach unendlich vielen erfolglosen Bewerbungen Hartz 4 - Bezieherin.
Die drei treffen sich nun wieder anlässlich der Hochzeit einer ehemaligen Schulfreundin.
Gleich an den Anfang stellt Shida Bazyar einen reißerischen Zeitungsartikel über einen Brandanschlag, bei dem Menschen ums Leben kamen. Saya M. wird unterstellt, sich radikalisiert und den Brand gelegt zu haben.
Was ist passiert und wie konnte es dazu kommen?
Doch Kasih ist eine unzuverlässige Erzählerin. Sie lässt uns bald wissen, dass ihr nicht zu trauen ist. „... ohne mich checkt ihr hier gar nichts. Ihr braucht mich, aber ich kann euch verarschen, ohne dass ihr irgendwas davon merkt.“ „ Woher ich das weiß? Woher ich überhaupt alles weiß? ...Ich weiß es nun einmal, ihr wisst doch auch immer so viel und alles besser.“
Sie verschweigt manches, um nicht das Schubladendenken des Lesers zu bedienen. So erfährt man z.B. nicht, aus welchen Ländern die Familien der drei Mädchen flüchten mussten.
Dann greift sie den Leser persönlich an, wirft ihm rassistisches Denken und Handeln vor. Sie zieht eine Trennung zwischen dem „ ihr“ der Leserschaft und dem „ wir“ der Menschen mit Migrationshintergrund. Das rüttelt auf und provoziert, bewusst. Vielleicht will die Autorin hier zeigen, wie es ist, unter Generalverdacht zu geraten.
Sicherlich sind viele der Beobachtungen und viele der Vorwürfe, die hier laut werden, berechtigt. Denke man nur an den fragwürdigen Umgang mit den Opfern der NSU- Morde ( auf diesen Prozess wird im Roman eingegangen, ohne ihn so namentlich zu kennzeichnen). Wahrlich kein Ruhmesblatt für die deutsche Polizei. Und sicherlich kann ich als weiße Leserin nicht nachfühlen, wie es ist, als Mensch mit dunkler Hautfarbe in Deutschland zu leben. Doch alles mit dem Rassismus- Vorwurf zu belegen, greift zu kurz. Man braucht keinen Migrationshintergrund, um nach einem Soziologiestudium ohne berufliche Perspektive dazustehen. Und man braucht keinen Migrationshintergrund, um beim Jobcenter wie ein lästiger Klient behandelt zu werden.
Shida Bazyar geht es nicht um einen fairen Umgang mit dem Thema. Sie überspitzt, fordert Widerspruch heraus. Das macht sie mit ihrer raffinierten Erzählweise und ihrem kritischen Blick. Wie das Cover suggeriert, verbirgt sich hinter dem Buch politischer Zündstoff.
„ Drei Kameradinnen“ ist ein gesellschaftskritischer Roman, der einen zwiespältigen Eindruck bei mir hinterlässt.