Aufwühlend und mitreißend

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kainundabel Avatar

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Drei Tage dauert die Unwetterkatastrophe, die über das französische Dorf Beauval niedergeht und ein Leben, nämlich das von Antoine Courtin, entscheidend beeinflussen könnte. Eine furchtbare Tat lastet auf dem Zwölfjährigen: Er hat kurz zuvor den sechsjährigen Rémi Desmedt erschlagen. Nein, es war kein Mord, vielmehr eine Affekthandlung. In ihr entlud sich die Wut gegen Rémis Vater, der seinen eigenen Hund Odysseus erschossen und wie Müll entsorgt hatte. Die Naturkatastrophe könnte dafür sorgen, dass die Leiche des Kleinen unentdeckt bleibt. Fortan muss Antoine mit dieser schier unerträglichen Schuld leben und der ständigen Angst, als Kindsmörder mit allen Konsequenzen entlarvt zu werden. Als Leser ist man hin- und hergerissen zwischen Tragik und Schuld, die das junge Leben des Protagonisten von einem Moment zum nächsten auf den Kopf stellt. Das geht schon mächtig unter die Haut, die Tat ebenso wie der verzweifelte Versuch, trotz ständiger Albträume ein unauffälliges, normales Leben zu führen. Sehr einfühlsam beschreibt Pierre Lemaitre die Ereignisse im Dorf, charakterisiert die Bewohner treffsicher, lässt den Leser unmittelbar teilhaben an aufwühlenden Momenten und eben auch an der Frage nach Schuld und Verantwortung. Dabei gelingt es ihm gekonnt, die eigenartige Spannung, die über den erzählten Zeiten (1999, 2011 und 2015) liegt, bis zum unerwarteten Ende aufrecht zu halten. Ausgesprochen ansprechend und sehr gut gewählt ist das Motiv des Covers, drückt es doch die Niedergeschlagenheit und Verlassenheit des jungen Antoine auf sehr subtile Weise aus. Trotz alledem muss ich noch einen negativen Aspekt erwähnen. So gut mir der Roman insgesamt gefallen hat, so sehr hat mich beim Lesen der inflationäre Gebrauch von Auslassungspunkten gestört. Dieses Mittel hat sinnvoll angewendet durchaus seine Berechtigung. Aber in nicht nur gefühlt hundertfacher Häufung wirkt es enorm störend und ist einfach nur ärgerlich. Ist es leichter, etwas auszulassen, als etwas auszudrücken? Warum schreitet ein Lektor da nicht ein?