Faszinierend und facettenreich

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kleine hexe Avatar

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Dies war mal ein Krimi, der aus der Reihe tanzt, obwohl er über alle Elemente des klassischen Genres verfügt: wir haben einen Mörder, wir haben seine Opfer. Dabei geht der Mörder nicht immer nach dem gleichen Schema vor. Weder bei der Art wie er sie kennenlernt noch bei der Vorgehensweise beim Töten. Wie ihm schließlich das Handwerk gelegt wird und von welcher Seite ganz unerwartet das geschieht, ist wie eine Katharsis aus der antiken Tragödie.
In den ersten beiden Teilen bleibt der Erzähler außerhalb des Geschehens, wir erfahren was die beiden ersten Opfer bewegt, wie sie leben, was sie erleben, was sie suchen. Der Täter selber bleibt vage, er liefert seinen Opfern das Bild des idealen Partners oder Freundes. Bis das Bild Kratzer bekommt. Die Erzählzeit ist der klassische Imperfekt Indikativ. Im dritten Teil ändert sich das. Die Tempi wechseln zwischen Imperfekt und Präsens, zwischen Indikativ und Konjunktiv. Der Erzähler bricht seine Distanz, er steht nicht mehr über dem Geschehen, sondern wendet sich direkt an die ersten beiden Opfer, erzählt und erklärt ihnen was geschieht, der Leser selbst wird zum Zaungast. Wenn in den ersten beiden Teilen der Leser zusammen mit dem Erzähler die Handlung verfolgt, ändert sich das im letzten Teil des Romans, der Leser erlebt den kathartischen Höhepunkt und Auflösung des Falls quasi im Alleingang, weil der Erzähler nicht mehr ihn im Blickpunkt hat sondern die ersten beiden Opfer.
Die Handlung spielt in Israel mit einem kurzen traurigen Intermezzo in Osteuropa. Aber wenn nicht ausdrücklich Tel Aviv und seine Viertel und Straßen im Buch genannt würden, könnte der Krimi in jedweder anderen Großstadt dieser Welt spielen. Keine Hisbollah, keine orthodoxen Strenggläubige, keine Intifada, keine Militärkontrollen, keine Anschläge, keine Raketen, keinerlei Anzeichen eines von Terrorismus und Politik gespaltenen Landes. Einfach nur normales 0815 Leben: Leute lernen sich übers Internet kennen, oder in Cafés, gehen spazieren, ins Kino, in den Kurzurlaub. Sie feiern Kindergeburtstag am Strand, korrigieren Klassenarbeiten, gehen auf Geschäftsreisen, schreiben an der Masterarbeit, pflegen alte Menschen. Man könnte das fast die unbekannte Seite Israels nennen, wenn wir als Vergleich das Bild Israels in den Nachrichten heranziehen.
Ich versuche mal zusammen zu fassen, ohne zu spoilern: Lesenswert, spannend, faszinierend