Toll geschrieben und spannend bis zum Schluss

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palatina Avatar

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Das Cover von Diogenes ist sehr stilvoll gestaltet und irritiert zunächst, weil mit der nackten, gefesselten Frau suggeriert wird, dass es sich um einen Krimi handeln könnte, sich aber kein Hinweis darauf auf dem Cover befindet. Tatsächlich ist der Roman, der größtenteils in Tel Aviv spielt, ein bisschen Gesellschaftsstudie und ein bisschen Detektivroman. Vor allem aber ist er spannend und unglaublich gut geschrieben.
Der Roman gliedert sich in drei Teile. Das verbindende Element aller drei Teile ist der Anwalt Gil, von dem die LeserInnen allmählich erfahren, dass er verheiratet ist, zwei Töchter hat und irgendwo eine fast leere Wohnung besitzt, ab und zu beruflich in Osteuropa zu tun hat und gerne Frauen kennenlernt.

Zunächst wird unglaublich feinfühlig und klischeefrei die Geschichte der Lehrerin Orna erzählt, die sich und ihren Sohn nach der schmerzvollen Trennung von ihrem Mann in eine Normalität hinüberzuretten versucht, in der auch ein neuer Partner einen Platz haben kann. Den sucht sie zaghaft in einem Dating-Portal. So lernt sie Gil kennen. Vielleicht könnte er der neue Partner sein, anfangs entwickelt sich ihre Bekanntschaft in diese Richtung. Aber Gil ist nicht ganz ehrlich, die Beziehung wird kompliziert und endet schließlich mit einer Überraschung für Orna.

Es folgt Emilia, eine lettische religiöse Pflegekraft. Ihr freudloser Alltag ist an einigen Stellen etwas langatmig geraten. Dadurch wird aber umso deutlicher, wie hart die Suche nach einem kleinen Stück Heimat in der Fremde geraten kann, wenn man mit geringen Hebräischkenntnissen in der oft ungastlichen Fremde seinen Lebensunterhalt bestreien muss. Emilia wirkt zurückhaltend, aber nicht ohne Tiefgang. Zwischen ihr und Gil, den sie anfangs als Anwalt aufsucht, entwickelt sich eine diffuse Beziehung. Es wird nie ganz klar, was Gil eigentlich bei ihr sucht: Ist es Zuneigung, eine nur halb ausgelebte sexuelle Anziehung oder braucht er nur jemanden, den er zutexten kann? Für sie scheint so etwas wie ein eine Art Erlöser zu sein, jemand, der Hoffnung verspricht. Letztendlich tut Gil dann aber alles, damit Emilia nicht allzu viel von seiner Beziehung zu Orna herausfindet.

Die letzte der drei Frauen ist schließlich Ella. LeserInnen ahnen recht bald, dass Ella nicht die ist, für die sie sich ausgibt. Sie und Gil lernen sich in einem Café kennen. Dass Ella sich immer mehr in die Bekanntschaft mit Gil verstrickt, man aber hofft, dass dieses Mal Gil derjenige sein muss, der hereinfällt und nicht wieder umgekehrt, macht die Geschichte umso spannender. Im letzten Drittel des Kapitels ahnt man schließlich, wie alles zusammenhängen könnte, und möchte unbedingt wissen, ob man auf der richtigen Spur ist.

Insgesamt ein sehr gelungenes Stück Literatur von Dror Mishani. Ein Roman, der aus verschiedenen weiblichen Perspektiven ein großes Identifikationspotential für Leserinnen mit Trennungsschmerz und Einsamkeit bietet, ohne dabei an Spannung zu verlieren.