Im Dickicht der Erinnerung

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amara5 Avatar

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Der Roman "Dschungel" von Friedemann Karig ist im Ullstein Verlag erschienen und rund 380 Seiten lang.

Sein bester Freund ist spurlos auf seiner langen Reise in Kambodscha verschwunden. Ein bisschen eigenartig, extrem und rätselhaft im Verhalten war er ja schon immer, erinnert sich der namenlose Ich-Erzähler "Herr Doktor", aber sowas hätte er selbst ihm nicht zugetraut. Es steht für ihn fest, dass er seine Liebe Lea zurücklassen und Felix nachreisen und suchen wird - ausgerüstet mit einer Haarlocke von seinem Freund, falls eine Genanalyse ansteht. Dabei ist der Protagonist sozial eher schüchtern und introvertiert, stößt an seine psychischen und pysischen Grenzen im heißen Kambodscha voller junger hipper Backpacker auf der Suche nach sich selbst und dem augenscheinlichen Individualismus. Immer tiefer taucht er ein in das fremde Land, aber auch in Erinnerungen an die besondere Freundschaft. Er verändert sich, legt sich das Puzzle zusammen, warum und wie er seinen Freund finden muss und reist am Ende auf eine einsame Insel in das Dickicht. Aber sucht er wirklich nur seinen besten Freund? Was treibt ihn eigentlich an?

Ich war positiv überrascht von Friedemann Karigs Debütroman - es ist kein hipper Reisebericht, sondern eine gut durchdachte Geschichte über zwischenmenschliche Beziehungen, deren Abhängigkeiten und Verwundbarkeit - besonders in der fragilen Rückschau. Formen wir unsere Erinnerung – oder formt sie uns?
Die Sprache ist prägnant, bildgewaltig (ich habe die Hitze in Kambodscha richtig mitgeschwitzt) und durchaus anspruchsvoll in den Gedankensträngen.
Aufgebaut in vier Teilen übt der Roman von Anfang an einen geheimnisvollen Sog und damit eine unterschwellige Spannung auf den Leser aus - die Hälfte davon passiert in Erinnerungsrückblicken in die Vergangenheit der Freundschaft, die andere auf der durchaus unterhaltsamen Suche im fremden exotischen Land. Denn in der Vergangenheit liegt wohl die Lösung des Rätsels.
Gelungen fand ich den leicht unterschwingenden ironischen Ton und die menschliche Beobachtungsgabe des Autors - das heutige Reiseverhalten der jungen, globalen Backpackerschar wird durchaus kritisiert.

Irrwege ins Dickicht, Hoffnungsschimmer, Täuschungen und ein abruptes Ende der Reise, wo der Knoten heftig platzt - Karigs Weg durch den Dschungel, er hat mich mitgerissen.