Jeder Mensch ist ein Dschungel

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buecherfan.wit Avatar

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In Friedemann Karigs Roman “Dschungel“ geht es um eine ungewöhnliche Freundschaft. Der namenlose Ich-Erzähler lernt Felix kennen, als sie sieben Jahre alt sind. Die Freundschaft hält bis ins Erwachsenenalter. Eines Tages reist Felix allein nach Kambodscha - wie so viele Aussteiger, die in Asien ein zweites Leben beginnen wollen. Als Felix über 4 Wochen nichts von sich hat hören lassen, bittet seine Mutter den Erzähler, ihn auf ihre Kosten zu suchen. Er willigt ein und lässt Lea, die Liebe seines Lebens zurück. Seine Suche beginnt in dem Hostel, in dem sich Felix zuletzt aufgehalten hat. In einer Matratze findet der Erzähler das Handy des Freundes, aber weder seine Erkundigungen noch das Foto, das er allen zeigt, bringen ihn anfangs auf die Spur des Verschwundenen. Der Erzähler gräbt in seinen Erinnerungen, weil er hofft, in der Vergangenheit einen Hinweis zu finden. In den Passagen über die gemeinsame Kindheit und Jugend wird bald deutlich, dass es sich hier nicht um eine Freundschaft auf Augenhöhe handelt. Felix ist extrovertiert, arrogant und scheut kein Risiko. Der Erzähler will seinen Ansprüchen genügen, vor ihm nicht als Feigling und langweiliger Spießer dastehen. Das führt dazu, dass er sich immer wieder auf Aktionen einlässt, die ihm zutiefst widerstreben. Die Beziehung der Freunde hat Züge einer Abhängigkeit, für die sich der Protagonist hasst und verachtet. Gegen Ende stellt er fest: „Ich war ein armseliger kleiner Köter, der angehechelt kam, wenn er nur pfiff. Ich war nichts und er alles…“ (S. 364). Während seiner Suche nach den Gründen des Verschwindens seines Freundes strebt der Erzähler auch nach Selbsterkenntnis. „Jeder Mensch ist ein Dschungel.“ (S. 368). Davon ist zumindest Felix überzeugt. Für den Leser wird deutlich, dass auch der Protagonist nicht ganz der ist, der er anfangs zu sein schien. Er ist kein verlässlicher Erzähler. Erkennbar ist auch, dass zwischen den Freunden vieles unausgesprochen blieb, dass es Tabus und Geheimnisse gab. Könnte hier eine Erklärung dafür zu finden sein, dass Felix verschwinden und keine Spuren hinterlassen wollte?
Karig ist ein interessanter, gut lesbarer Roman gelungen, der sowohl Reiseroman als auch die Geschichte einer besonderen Freundschaft ist und der mit dem ständigen Wechsel der Zeitebene Spannung erzeugt. Daneben werden auch andere wichtige Themen angesprochen, z.B. die Verheerungen, die der Tourismus auf dem Planeten anrichtet. Paradoxerweise unternehmen auch Menschen, die sich viele Gedanken über alternative Lebensweisen gemacht haben, Fernreisen und tragen damit zur Klimakatastrophe und Umweltzerstörung bei.
Mir hat Karigs Roman sehr gut gefallen und ich empfehle ihn gern weiter.