Wahre Freundschaft soll nicht wanken, wenn sie gleich entfernet wird. Lebet fort noch in Gedanken…

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kleine hexe Avatar

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Ein vielschichtiges Buch, das einen gefangen hält und nicht mehr loslässt bis zur letzten Seite. Faszinierendes Titelbild: ein blaues Chamäleon auf tiefblauen Hintergrund und dann der Titel: Dschungel. In unserer Vorstellung ist der Dschungel alle möglichen Schattierungen von Grün, aber niemals blau. Und trotzdem passt das Bild unglaublich zum Buchinhalt.
Ist dies Buch ein Reisebuch? Zum Teil schon. Aber es verlässt recht bald das Genre der Reiseliteratur.
Ist dies ein Buch über die Kindheit zweier Männer? Zum Teil schon, obwohl die Männer nun erwachsen sind sich von der Kindheit losgelöst haben sollten und all der dummen Streiche die sie begangen haben.
Ist dies ein Buch über die Freundschaft? Ja. Die beiden Jungen verbindet eine tiefe Freundschaft, in der sie sich auch ohne Worte verstehen, über das Verstörendste was in ihrer Kindheit passiert ist, nie gesprochen haben. Erst zum Schluss, nach der langen Suche und Wanderung durch den kambodschanischen Dschungel die jeder von ihnen einzeln durchmachen muss können sie sich beim Wiedersehen aussprechen. Und nun erst verstehen wir, weshalb Felix seine Kindheit durch wie ein Getriebener agiert hat, wie ein Adrenalin-Junkie alles immer auf die Spitze getrieben hat, vielleicht auch weil er wusste, der Freund ist da, fängt ihn auf oder hält ihn zurück.
Ist dies ein Buch über das Unaussprechliche das Erwachsene einem Kind antun können? Ja. Auch wenn das nur einmal in einem Absatz am Ende des Buches zur Sprache kommt. Ich musste den Absatz wiederholt lesen, damit das Geschehen so richtig einsinkt, deutlich wird.
Der Aufbau des Buches ist besonders. Szenen der Stationen der Reise und Suche nach Felix alternieren mit den Schlüsselszenen aus der Kindheit der beiden Freunde, wobei Wortschatz und Satzbau immer annähernd gleich bleiben. An sich ist dies eigentlich schlüssig und logisch, ist das Buch ja aus der Perspektive des namenlosen suchenden Freundes geschrieben.
Eine Bemerkung zu den Gestalten im Buch: zunächst sind da einmal die beiden Hauptgestalten, der namenlose Ich-Erzähler und Felix. Felix bedeutet „der Glückliche“, aber seinem Namen gerecht wird Felix erst am Ende des Buches, als er alles hinter sich lässt. Die Eltern des Erzählers bleiben immer im Hintergrund, sie begleiten seine Kindheit, sind da, wenn sie gebraucht werden. Felix‘ Eltern sind dafür omnipräsent, vor allem die Mutter. Der Vater hat da etwas eigenwillige Methoden seine Autorität beim Sohn durchzusetzen, aber Dorothée, die Mutter dominiert die Kindheit der beiden Jungen, nicht nur ihres eigenen Sohnes. Dorothée schreckt vor nichts zurück und versucht ständig die Kontrolle an sich zu reißen. Auch jetzt, da aus den Jungen Männer geworden sind, kann sie nicht akzeptieren, dass Felix sich ihr entzieht, sein eigenes Leben führen wird, gut oder schlecht, das mag dahin gestellt sein, aber er bestimmt darüber.
Die nächste Person die klar in den Vordergrund tritt ist Bea. Sie ist die Freundin des Erzählers, liebt ihn, erkennt dass Felix tiefgehende Probleme hat, erkennt dass Dorothée nicht nur über ihren Sohn sondern auch über den Freund bestimmen will. Bea versucht alles, um ihren Freund aus dieser doppelten Umklammerung, von Felix und der Mutter zu lösen, letztendlich aber zum Aufgeben gezwungen wird. Zu tief sitzen die Wunden der Kindheit in den beiden Männern, Bea hat keine Chance.
Zu all den Liedern, die im Buch immer wieder genannt oder gesummt werden, fällt mir noch ein altes fränkisches Volkslied ein: Wahre Freundschaft soll nicht wanken, wenn sie gleich entfernet wird. Lebet fort noch in Gedanken und der Treue nicht vergisst…