Den Splitter im Auge der anderen sehen, den Balken im eigenen Auge aber nicht

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
adelheid von buch Avatar

Von

Die Idee der Geschichte ist toll: Grace, die Paartherapeutin schreibt ein Buch über die typischen Probleme der Frauen, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Es geht darum, dass die Frauen sehr wohl von Anfang an wissen, dass ihr Mann nicht treu ist oder nicht mit Geld nicht umgehen kann oder sie einfach nicht gut behandeln wird. Die Frauen neigen irgendwie dazu, den Lügen der Männer zu glauben oder sich auch gern selbst was vorzumachen. Kurz vor der Veröffentlichung wird klar, dass sie in ihrem Leben genau mit diesen Problemen in krasser Form ebenfalls konfrontiert ist.
Es stellt sich heraus, dass sie über ihren Mann, einen offenbar sehr engagierten Kinderarzt, nicht viel weiß. Er hat sie isoliert, manipuliert, angelogen, mit anderen Frauen betrogen, wohl auch andere Kinder gezeugt. Er fliegt auf, als die Mutter eines Mitschülers ihres Sohnes ermordet und er als Täter identifiziert wird. Da ist er aber schon mit allem Bargeld und dem Familenschmuck über alle Berge.

Das erste Drittel des Buches ist genial. Die Situation von Grace wird ausgeleuchtet. Wie sie glaubt, dass sie alles im Griff hat. Wie stolz sie auf ihren Mann ist. Wie gut alles geordnet und geplant ist. Wie ihr Sohn auf eine elitäre Privatschule geht. Welche Leute zu ihrem Umfeld gehören.

Das zweite Drittel des Buches ist auch gut. Die Bombe platzt. Der Mord ist geschehen. Offenbar wissen alle außer Grace darüber Bescheid. Sie begreift erst nicht und dann sehr langsam, was das alles mit ihr bzw. mit ihrem Mann zu tun hat. Sein übergroßes Engagement galt offenbar nicht immer unbedingt seinen kleinen Patienten, sondern eher deren Müttern. Nach und nach wird deutlich, dass er ein rechtes Arschloch ist, das jede Menge auf dem Kerbholz hat. Sehr gut ist beschrieben, wie das gesellschaftliche Umfeld auf den Skandal reagiert. Grace ist ziemlich isoliert. Sie hat Mühe, die Orientierung nicht zu verlieren. Es zeigt sich, wer ihr wirklich wohlgesonnen ist. Sie schafft es, gemeinsam mit ihrem Sohn aus der Situation erstmal zu entkommen, um wieder festen Boden unter den Füßen zu kriegen.

Das dritte Drittel passt stilistisch leider irgendwie nicht zu dem Buch. (Bücher, die im ersten Kapitel in dieser Art oberflächlich und trivial sind, lese ich gar nicht bis zum dritten Kapitel.) Alles ist sehr angestrengt auf ein Happy End ausgerichtet. Alles ist PHANTASTISCH und WUNDERBAR. Graces Vater gesteht ihr mal einfach so beim Kaffeekochen, dass er ihre Mutter sehr oft mit anderen Frauen betrogen hat. Die verlorene Freundin aus Kindertagen findet sich wieder an, Ihr Sohn findet Freunde in der Schule, es kommt ein neuer Mann in ihr Leben, die Familie ihres Mannes nimmt sie in ihre Arme, ihr Buch wird veröffentlicht. Bla und blubb. Am Ende wird ihr flüchtiger Mann geschnappt, Grace löst ihre alte Wohnung auf und schenkt alle die tollen Möbel einer bedürftigen Familie. Alles ist rosarot und rosa.
Keine Spur von der Dramaturgie aus den ersten beiden Teilen. Dadurch verreckt die schöne Idee leider am Ende.