Du hättest es wissen können

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Perfekt, so könnte man das Leben der Paartherapeutin Grace beschreiben. Sie hat einen wundervollen Ehemann, der pädiatrischer Onkologe im Memorial ist, einen kleinen Sohn und eine gutgehende Praxis. Nun steht auch noch ihr allererstes Sachbuch vor der Veröffentlichung und sie wird in ihrer Praxis von „Voque“ interviewt und fotografiert. Ein Buch mit dem etwas reißerischen Titel "Du hättest es wissen können", ihr Vorschlag " Das Gebot der Achtsamkeit" war den Verlegern zu literarisch. Thema ihres Erstlingswerkes ist die Wahl des Partners, insbesondere des Ehemannes, da bei ihr auf der „Couch“ in der Regel nur Frauen sitzen, die vom Zusammenleben mit ihrem Angetrauten so dermaßen desillusioniert sind, das sie sich Hilfe suchen müssen. Doch Grace beschönigt nichts und mit Samthandschuhen fasst sie ihre Klienten auch nicht an. Sie will schonungslos aufklären, denn liebevolle, nichtssagende Bücher zu diesem Thema gibt es genug. Doch nicht alle Klienten kommen mit der toughen Art zurecht, und so muss sich Grace auch schon mal den Vorwurf machen lassen, dass sie ein eiskaltes Miststück sei, die wenig Mitgefühl zeigt und ihren Klienten bewusste Selbsttäuschung unterstellt. Doch Selbsttäuschung wird im Allgemeinen nicht bewusst wahrgenommen, denn im Zentrum des Geschehens lassen sich die Dinge nicht so rational darstellen wie an der Peripherie und das bekommt auch Grace bitter zu spüren, als ihr Leben wie ein Kartenhaus zusammen bricht. Alles beginnt mit der Ermordung einer Mutter, deren Kind, ebenso wie Graces Sohn auf die renommierte Privatschule „Rearden“ geht. Eine unfassbare Tat, die mit Macht in das Leben der Therapeutin eindringt, denn Sie und ihre Familie geraten in den Fokus der Ermittlungen. Für Grace völlig unverständlich, da sie die Frau kaum kannte und doch kommen Zweifel auf, denn auch Graces Mann Jonathan ist seit diesem Tag spurlos verschwunden, der Medizinerkongress im Mittleren Westen, auf dem er angeblich weilt, existiert gar nicht.


Das wirklich faszinierende an diesem Buch ist die Thematik. Ich habe in meinem Leben auch schon das ein oder andere Ratgeberbuch durchgelesen und mich in der Regel immer über die anmaßende Arroganz der Autoren geärgert. Nicht der Hauch eines Selbstzweifels kann man zwischen den Zeilen erkennen. So etwas halte ich persönlich immer für wenig glaubwürdig. Hier agiert die Protagonistin sogar noch überheblicher, paart sie ihren Hochmut noch mit einer gehörigen Portion Zynismus. Eine Kombination die Explosivität verspricht und über große Abschnitte auch halten kann. Rückblickend betrachtet, habe ich als Leserin sofort die Rolle der eigentlichen Protagonistin übernommen, während ich durch ihr Leben wandelte und hätte fortwährend mit dem Finger auf gewisse Ungereimtheiten zeigen können. Schon die Tatsache, dass der Ehemann von ihr zu Hause so hermetisch abgeschottet wurde das er für die Familie quasi zum Geist im eigenen Leben wurden, den es aber galt zu hofieren…
Ein sehr geschickter Schachzug der Autorin, den Titel des Buches als Leitfaden durch einen Großteil der Kapitel zu flechten. Gepaart mit einem flüssigen und unaufdringlichen Schreibstil war ich über lange Zeit gefesselt von der Geschichte. Der mittlere Teil hat mich förmlich mitgerissen, danach flacht die Geschichte jedoch stark ab. Das liegt zum Teil daran, dass man nach ungefähr zwei Dritteln des Buches weiß, wie die Protagonistin agiert und das wirklich zu viele „gute“ Menschen und „schöne“ Situationen beschrieben werden. Im ersten Drittel sind die Nebendarsteller kraftvoll und sehr charakteristisch gezeichnet. Die snobistische Umgebung an der Privatschule mit all ihren Akteuren ist sehr bezeichnend dargestellt, zwar keine wirklichen Überraschungen, für mich dennoch sehr kraftvoll. Der letzte Teil dagegen flacht sehr ab, die dortigen Beschreibungen sind bestenfalls schwammig zu benennen.
In der Regel lasse ich mich weniger von einem Buchdeckel als von einem Klappentext inspirieren. Auch bei diesem Buch war das der Fall und dieses Mal wurden meine Erwartungen, die ich nach dem Lesen an das Buch hatte, nicht enttäuscht. Ich würde jetzt zwar nicht in den überbordenden Lobgesang, der auf der ersten Seite zu finden ist, mit einstimmen, trotzdem muss ich sagen, dass dies ein sehr interessanter Roman ist der neben dem psychologischen Aspekt Zwischenmenschlicher Beziehung auch noch tiefe Einblicke in die Denkweise Privilegierter New Yorker gibt.