Du

Du kannst dir nicht trauen

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kimvi Avatar

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Schneechaos auf der A4. Es ist Nacht und auf allen drei Spuren ist der Verkehr zum Erliegen gekommen. Langsam wird klar, dass die Räumfahrzeuge noch Stunden brauchen werden, um die festsitzenden Fahrzeuge und ihre Insassen zu befreien. Nach und nach schalten die Fahrer die Motoren ihrer Wagen resigniert ab. Stille und tiefe Dunkelheit breiten sich aus. Der weiter fallende Schnee verwandelt die Fahrzeuge in separate Inseln, abgeschlossen von der Außenwelt. Das große Warten beginnt. Auch du gehörst zu den Eingeschlossenen, nur wenige Stunden von deinem Ziel entfernt. Du entschliesst dich deinen Wagen zu verlassen. Es ist, als ob du schon immer auf diesen Moment gewartet hättest. Dunkelheit umgibt dich. In dieser Nacht  steigst du in sechsundzwanzig wartende Fahrzeuge. Dein Instinkt leitet dich, denn zielsicher wählst du die Wagen aus, in denen die Beifahrerseite unbesetzt ist. Du weißt genau, wann es genug ist und setzt dich wieder in dein Fahrzeug. Sobald sich der Stau auflöst verschwindest du unerkannt, als hätte es dich nie gegeben. Der Reisende wurde geboren. Doch bedenke, du kannst dir nicht trauen...

Jetzt versetz dich in eine fünfköpfige Mädchenclique. Du bist ein Teil von ihnen. Jede steht für die andere ein. Ihr vertraut euch vollkommen. Deshalb ist es selbstverständlich, dass ihr einander helft, egal wie sonderbar die Situation auch sein mag. Da jede von euch aber auch einzeln agiert, steuert ihr langsam ins Chaos. Euer ganzes bisheriges Leben entgleitet euch. Nichts ist so, wie es mal war. Zum Glück erzählt ihr euch immer alles, oder? Es ist nur schade, dass du dir nicht trauen kannst...

Dann gibt es noch einen Mann, dem man besser nicht in die Quere kommt. Er ist eiskalt und führt seine Geschäfte mit eiserner Hand. Er trägt den Namen "Der Logist". Nun versetz dich auch in diesen Mann und lerne seine Vergangenheit kennen. Stell dir nun vor, die eingeschworene Mädchenclique würde sich ausgerechnet mit dir anlegen. Das würden sie doch sicher nicht riskieren? Du fragst dich nun wie all das zusammen passt? Beobachte genau, doch vergiss dabei niemals, dass du dir selbst nicht trauen kannst...

**Meine Meinung  **

Zoran Drvenkar schafft es, den Leser von Anfang an in den Bann dieses Romans zu ziehen. Das liegt sicher an der außergewöhnlichen Erzählperspektive, der 2. Person Singular. Man wird direkt mit "Du" angesprochen und befindet sich sofort mitten im spannenden Geschehen. Dabei wechseln die Blickwinkel zwischen mehreren Personen, sodass man in die Haut von verschiedenen Protagonisten schlüpft. Die Perspektivenwechsel sind durch entsprechende Überschriften gekennzeichnet. Man weiß also genau, aus welcher Position man das Geschehen gerade betrachtet. Dennoch sind die häufigen Perspektivenwechsel, besonders am Anfang, etwas verwirrend. Um die Übersicht zu behalten, sollte das Buch konzentriert und aufmerksam gelesen werden. Da man in viele verschiedene Rollen schlüpft erlebt man manche Ereignisse etwas zeitversetzt.

Das Buch besteht aus drei Haupthandlungssträngen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Das verwirrt zunächst und erschwert den Einstieg in die Erzählung etwas. Doch sobald sich die ersten losen Fäden miteinander verknüpfen, steigert sich die Spannung enorm. Es fällt schwer, das Buch dann noch aus der Hand zu legen. Zoran Drvenkar gelingt es, eine bedrohliche und unheimliche Atmosphäre zu erschaffen und diese sehr glaubhaft zu vermitteln. Gerade diese düstere Stimmung und die allgegenwärtige Gefahr, der man als Leser durch die direkte "Du"-Ansprache ständig ausgesetzt ist, fördert das Suchtpotential dieser Geschichte. Die Spannung wird bis zum Schluss aufrecht erhalten, da es dem Autor oft genug gelingt falsche Fährten auszulegen, denen man als Leser bedenkenlos folgt. Erstaunlich ist, dass die gesamte Handlung am Ende ein stimmiges Gesamtbild abgibt und keine losen Handlungsfäden übrig bleiben.

Der Schreibstil ist nicht ausschweifend, sondern eher kurz und knapp. Zoran Drvenkar bringt seine Geschichte ohne überflüssige Verschnörkelungen auf den Punkt. Er verliert dabei kein Wort zu viel. Das ist aber nicht negativ gemeint, denn dieser Schreibstil ist für die Erzählung passend, spricht direkt an und treibt den Leser förmlich durch die Seiten. Handlungsorte und Begebenheiten erwachen zum Leben und verschmelzen mit der düsteren Atmosphäre. Die wörtliche Rede wird, genau wie in Drvenkars Thriller "Sorry",  nicht in Anführungszeichen gesetzt, sondern lediglich durch einen Querstrich gekennzeichnet. Daran kann man sich allerdings schnell gewöhnen und nimmt diese Eigenart als gegeben hin.

**Mein Fazit     **

Die außergewöhnliche Erzählperspektive macht das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis. Man wird als Leser direkt angesprochen und hat das Gefühl hautnah dabei zu sein. Dadurch unterscheidet sich das Buch wohltuend vom Thriller-Einheitsbrei. Obwohl die häufigen Perspektivenwechsel den Einstieg in die Handlung erschweren, vergebe ich alle fünf Bewertungssterne.