Du

Gewaltiger Roman mit Sogwirkung

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Ein Roman komplett verfasst in der zweiten Person Singular! Das wirkt zunächst etwas befremdlich und ungewohnt, liest sich dann aber überraschend gut. “Du” heißt dieses Werk von Zoran Drvenkar sinnigerweise. Titel und Klappentext sagen nicht viel aus. Cover und Umschlag wirken düster und schwer. Wieder einmal bewahrheitet sich der Spruch, dass man vom äußeren nicht auf den Inhalt schließen soll. Der hat es nämlich in sich.

 

Stinke, Rute, Schnappi und Nessie finden im Haus ihrer Freundin Taja Drogen im Wert von 3 Millionen Euro. Statt sie zurückzugeben, versuchen Sie diese zu Geld zu machen. Ohne es zu ahnen, bieten Sie das Rauschgift seinem rechtmäßigen Besitzer an, dem Logist. Dieser ist verständlicherweise nicht erfreut, das die Mädchen versuchen ihn an der Nase herumzuführen. Ihnen bleibt nur die Flucht. Der Logist setzt sich mit seinen Handlangern auf ihre Spur. Eine ebenso erbarmungslose wie groteske Verfolgungsjagd führt von Berlin in die äußerste Spitze Norwegens. Am Ende heftet sich dem Duo noch der Reisende an die Fersen. Ein schwermütiger Serienmörder, auf der Suche nach Rache.

 

Zoran Drvenkars Roman ist ein Puzzle, das man Stück für Stück zusammensetzen muss. Im ersten Teil breitet der Autor die Einzelteile aus. Jede seiner Figuren wird Blitzlichtartig vorgestellt. So erlebt man den Reisenden bei seiner ersten Mordserie. Der Logist Ragnar findet seinen Bruder Oskar tiefgefroren am Rande seines, nicht mehr mit Wasser gefüllten, Swimmingpools. Die attraktive Stinke gabelt während einer Kinovorstellung einen reichen Romantiker auf. Rute, die Intellektuelle, erleben wir beim freudlosen Sex mit ihrem Freund. Nessie, eine Seele von Mensch, befürchtet schwanger zu sein. Und Schnappi, die Quasselstrippe, philosophiert über Menschen mit und ohne Seele. Neben diesen Hauptfiguren gibt es noch jede Menge Handlungsstränge mit Nebendarstellern, die für den Lauf der Geschichte mehr oder weniger wichtig sind und für eine abwechslungsreiche Mischung sorgen. Für den Überblick ist es sehr hilfreich, dass über jedem Abschnitt der Name der Person steht um die es gerade geht.

 

Die Zusammenhänge zwischen den Figuren kristallisieren sich im zweiten Teil heraus und das Geschehen gewinnt an Tempo. Der Autor führt den Leser immer wieder aufs Glatteis. Durch die Massentötung zu Beginn aufs äußerste sensibilisiert erwartet man natürlich das schlimmste, als Stinke mit dem jungen Mann im Auto aus dem Kino verschwindet. Die Wendung die dieser Ausflug nimmt, ist in der Tat tragisch. Jedoch keineswegs für Stinke. Die Spitznamen die sich der Autor für die Mädchen ausgedacht hat, finde ich persönlich übrigens ziemlich dämlich. Aber dem Lesevergnügen schadet es nicht.

 

Abgesehen von der ungewöhnlichen Perspektive liest sich das Buch flüssig und bietet sprachlich keine Besonderheiten. Manche Sätze lassen einen allerdings aufhorchen. Kleine Weisheiten in denen der Autor etwas so klar auf den Punkt bringt, das man sich wundert wie einfach Erklärungen sein können. Zum Beispiel seine Gedanken in Bezug auf das Chaos das uns umgibt und immer nur einen Wimpernschlag entfernt ist. Oder seine These zur Gier.

 

Eine besondere Qualität haben auch die kreativen Ideen. Der tote, tief gefrorene Oskar kann plötzlich die Gedanken seiner Umgebung lesen. Zum ersten Mal versteht dieser nun, was im Kopf seines Kindes vorgeht. Ein ebenso bedrückender wie inspirierender Gedanke, der sich ja nun für Oskar leider nicht mehr nutzen lässt! An einigen Stellen hatte ich allerdings das Gefühl, dass die Einfälle abgekupfert waren. So zum Beispiel beim Inhalt des Swimmingpools. Das erinnerte schon sehr an den Film Grasgeflüster.

 

Die Geschichte entwickelt in ihrem Verlauf eine gewaltige Sogwirkung. Zum Schluss klebte ich förmlich an den Seiten. Kuriose Szenen verleiten zunächst zum Lachen, bevor sie wegen unfassbarer Brutalität den Atem stocken lassen. Viele Leichen pflastern den Weg der Geschichte. Mit einigen davon hätte ich niemals gerechnet. Das Ende ist dann so abwegig, das es schon wieder glaubhaft ist. Empfehlenswert.