Eine Strafverteidigerin mit getrübtem Urteilsvermögen

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Eva Herbergen (62) hat beschlossen, ihre Zulassung als Anwältin nach mehr als 30 Jahren zurückzugeben. Für die Strafverteidigerin ist die Zeit gekommen, ihren Beruf aufzugeben. Bei der Entscheidung spielte nicht nur ihr Alter eine Rolle, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie in der Vergangenheit mehrere Fehler in ihrem Job gemacht hat…

„Dunkle Momente“ ist ein Roman von Elisa Hoven.

Eingerahmt von einem Pro- und einem Epilog, gliedert sich der Roman in neun Kapitel, die jeweils einem Kriminalfall gewidmet sind. Sie sind immer gleich aufgebaut: Zunächst wird der jeweilige Fall mehr oder weniger ausführlich geschildert, danach Herbergens Vorgehen, der Prozess und die abschließende Darstellung, was falsch gelaufen ist. Erzählt wird überwiegend in der Ich-Perspektive aus der Sicht der Strafverteidigerin, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge. Dennoch fällt die Orientierung dank der Zwischenüberschriften leicht.

Neben den jeweiligen Opfern und Tätern ist Protagonistin Eva eine der Hauptfiguren. Sie ist keine klassische Sympathieträgerin, denn es wird schnell deutlich, dass sie sich sowohl in ihrem Beruf als auch im Privaten Verfehlungen geleistet hat. Ihre Gedanken und Motivationen sind für mich sehr gut ersichtlich, wenn auch nicht immer nachvollziehbar.

Die neun Fälle zeigen die Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit, zwischen Moral und Gesetz. Sie sind allesamt interessant und gleichzeitig vertrackt. Immer wieder wird ein Dilemma geschildert. Es handelt sich jeweils um Situationen, die die Strafverteidigerin gefordert, sie auf die Probe gestellt und in eine knifflige Lage gebracht haben. Das regt zum Nachdenken und Diskutieren an.

Jeder Fall ist dabei unterschiedlich gelagert: Mal geht es um Notwehr, mal um Vergewaltigung, mal um Mord, mal um Wirtschaftskriminalität usw. Die Schilderungen lesen sich spannend. Es gibt unerwartete Wendungen und überraschende Entwicklungen, was die rund 300 Seiten kurzweilig gestaltet. Allerdings machen die dargestellten Fälle auch betroffen und schockieren. Besonders dann, wenn man weiß, dass die Geschichten zumindest zum Teil lose auf realen Fällen beruhen. Leider bleibt die Autorin ein Nachwort schuldig, was Aufschluss über Fakten und Fiktion gegeben hätte.

Die Sprache des Romans ist unauffällig, aber klar, authentisch und anschaulich. Die Erklärungen sind trotz juristischer Details für Laien leicht verständlich. Eine Schwäche des Romans sind jedoch die Rahmenhandlung und insbesondere die erzählerische Verbindung der Fälle, die für meinen Geschmack zu wenig ausgearbeitet ist. Vor allem erscheint es insgesamt als wenig glaubwürdig, dass eine einzige Strafverteidigerin mit gleich neun solch recht spektakulärer Fälle zu tun gehabt haben soll. Möglicherweise hätte ein Sachbuch dem Konzept besser Rechnung getragen.

Überaus gelungen ist in meinen Augen dagegen das symbolträchtige, reduzierte Covermotiv. Auch der prägnante Titel passt hervorragend zum Buch.

Mein Fazit:
„Dunkle Momente“ von Elisa Hoven ist ein inhaltlich interessanter Roman, der einige Denkimpulse liefern und Aha-Momente hervorrufen kann. Durchaus lesenswert, jedoch auf erzählerischer Ebene ausbaufähig.