Gefällig geschrieben

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singstar72 Avatar

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Dies war meine erste Begegnung mit dem Autor, und mit der Reihe. Ich bin generell ein wenig skeptisch bei diesen ganzen Regional- und Frankreich-Krimis. Allzu oft scheinen sie mir nur geographische Sehnsucht wecken zu wollen, die Autoren wollen sozusagen mit ihrer Landeskenntnis ein wenig „angeben“ und Reiselust wecken. Die Fälle geraten da oft in den Hintergrund.

Ich bin einigermaßen positiv überrascht! Das Buch ist sehr „gefällig“ und flüssig geschrieben. Man gerät sehr leicht in einen „Lesesog“, der einen durch eine abwechslungsreiche und durchaus spannende Handlung begleitet.

Allerdings muss ich schon sagen, dass ich den Verdacht habe, dass man sich an dieser Reihe leicht „überfressen“ könnte. An manchen Stellen habe selbst ich als Neuling in der Reihe gemerkt, dass hier auf einen früheren Band umständlich angespielt wurde. Und manche Szene war erkennbar nur darum so und genau so geschrieben, um dem Leser die Zusammenhänge zu erläutern. Etwas, was mich zum Beispiel auch bei den späteren Bänden von „Harry Potter“ immer gestört hat! Ellenlang wurden Dinge wiederholt, nur um sicherzugehen, dass es auch „neue Leser“ verstehen!

Doch gehen wir mal systematisch vor. Helden bzw. Protagonisten sind hier Leon Ritter, Gerichtsmediziner aus Deutschland, und seine Partnerin Isabelle, die „Capitaine“ bei der Polizei ist. Das erlaubt es dem Autor, private und offizielle Ermittlungen geschickt zu verknüpfen. Allerdings führt es auch zu der kuriosen Situation, dass der eigentliche Ermittler, Polizeichef Zerna, mehr und mehr wie eine Witzfigur aussieht, weil er eigentlich nur vorkommt, um Isabelles und Leons Ergebnisse zu „verwalten“.

Den „Fall“ an sich fand ich schon spannend. Ich mag es, wenn mittelalterliche Motive mit aktuellen Gräueltaten verknüpft werden. Und wenn das nur zufällig, durch einen aufmerksamen Mitarbeiter, herauskommt. In diesem Falle durch Leon Ritter. Er entdeckt, dass hinter den toten Frauen Misshandlungen religiös-rituellen Charakters stecken.

Leon und Isabelle bleiben für mich als Menschen leider ein wenig farblos… die Schilderungen beschränken sich zumeist auf gemeinsames Essen, Ausflüge, oder stundenlange Fahrten durch die Natur. Einen Nebenstrang, mit einer potenziellen schweren Erkrankung, fand ich sogar ausgesprochen überflüssig und konstruiert. Die beiden führen einfach eine in meinen Augen zu sehr „geglättete“ Beziehung.

Ausserdem merkt man schon sehr stark, dass der Autor hauptsächlich Drehbücher schreibt. Die Szenen sind alle gefühlt exakt gleich lang, und Szenen mit Leon oder mit Isabelle wechseln sich mit schöner Gleichmäßigkeit ab. Das wirkt wiederum konstruiert. Eine Fahrt über Land. Eine Ermittlung. Eine private Szene. Und wieder von vorne im genau gleichen Rhythmus. Das Buch könnte man fast 1:1 verfilmen. Es ist sehr „visuell“ geschrieben.

Die Schilderungen von Natur und kulinarischen etc. Gewohnheiten sind allerdings toll! Das Buch macht unbedingt Lust darauf, die Gegend zu besuchen. Besonders geschmunzelt habe ich bei der Schilderung eines lokalen Heiligen-Festes, bei dem man sehr deutlich merkte, wie sehr Folklore oft an den Geschmack der Touristen angepasst wird! Andererseits hat mich der Wein-Tick der Südfranzosen fast wieder genervt. Wein zu allen möglichen und unmöglichen Tageszeiten. Zumal ich persönlich mir nichts aus Wein mache.

Gestört haben mich ansatzweise auch die eingestreuten französischen Ausdrücke. Ein „merde alors“ hin und wieder geht ja noch klar. Aber wie oft hier von den „flics“ gesprochen wurde, das war deutlich übertrieben. Es kam gefühlt auf fast jeder Seite vor! Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Franzosen wirklich sooo schlecht über ihre Gesetzeshüter denken.

Dann wieder gab es hin und wieder Nebenschauplätze, die unnötig grausam oder übertrieben waren. Die Szene mit dem Schweinetransporter ist einfach nur scheußlich! Und sie war unnötig! Und warum muss ausgerechnet ein wichtiger Zeuge ein Ehebrecher sein? Das ist doch reinstes Klischee!

Mein deutlichster Kritikpunkt betrifft – das Motiv des Täters! Es ist – schlicht nicht vorhanden! Mir bleibt völlig verschlossen, WARUM der Täter so gehandelt hat. Keine Erklärung seiner Vorgeschichte. Kein Trauma, kein Frauenhass, kein religiöser Wahn… das muss man sich als Leser alles selbst zusammenreimen. Und wie hat er sich seine Opfer überhaupt geangelt?? Oder hat etwa in der elektronischen Fassung ein Kapitel gefehlt…?? Jedenfalls endet das Buch für mich ziemlich abrupt mit der Ergreifung des Täters auf frischer Tat.

In der Summe lande ich bei diesem Buch bei etwa 3,5 Sternen von 5 möglichen. Wie gesagt, es lässt sich wunderbar flüssig „weglesen“. Allerdings sollte man dabei keinen allzu ausgefeilten Krimi erwarten. Der Autor hat das Genre eben nicht neu erfunden.