Mit dem Atem des Serienmörders in meinem Nacken ...

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Harry Hole hat sich aus dem harten Geschäft des Spezialfahnders ins bürgerliche Leben eines Dozenten an der Polizeihochschule Oslo zurückgezogen. Als ein Serienmörder in der Stadt offenbar Beziehungen zu seinen Opfern über die Datingplattform Tinder sucht, fürchtet Polizeichef Mikael Bellman um seine weitere Karriere. Wie in alten Zeiten soll Harry eine kleine, schlagkräftige und unabhängig operierende Sondereinheit führen, bestehend aus dem Experten für außergewöhnliche Serienmorde Smith, dem legendären Kriminaltechniker Bjørn Holm und Anders Wyller, einem frisch eingestellten Kommissar-Anwärter aus Tromsø. Harry hat von Anfang an den Eindruck, dass er die Arbeitsweise des Täters von früheren Ermittlungen kennen müsste, aber lange fehlt der entscheidende „Klick“, der die Informationen und Beweismittel miteinander verbindet. Schnell wird deutlich, dass der Täter nicht nur seine Opfer als Trophäen sammelt, sondern auch die Ermittler direkt und persönlich bis in ihr Privatleben hinein vernichten will.

Obwohl ich kein Freund von Metzel-Thriller-Handlungen bin, in denen die Ermittler mit quatschendem Ton ihrer Schuhsohlen durch gerinnende Blutlachen waten, lasse ich mich von Nesbøs Thrillern stets gern fesseln. Er konstruiert seine Plots raffiniert und führt eine immense Zahl von Personen ein. Auch wenn die zahlreichen Wendungen weder neu noch besonders realistisch wirken, behält Nesbø alle Handlungsfäden fest im Griff und hat bis zum letzten Moment immer noch einen Trumpf in der Hand. Selbst Leser, die bisher keine Hole-Krimis gelesen haben, erhalten die Chance, die Figuren und ihre Verbindungen aus der Vergangenheit kennenzulernen. Jeder wird anhand seiner individuellen Beziehung zu einer weiteren handelnden Person vorgestellt, seien es vergangene Liebesaffären, gegenseitige Verpflichtungen oder noch nicht ausgestandene Konflikte. Zum Ende des Plots sehen nicht nur die Ermittler überall Verrat und Intrige, sondern vermutlich auch Nesbøs Leser. Herausragende Figuren waren für mich diesem Band der anfangs noch undurchsichtige neue Kollege Anders Wyller, die jugendliche Aurora und der Psychotherapeut Ståle Aune, aus vorhergehenden Bänden vertraut als Harrys Therapeut. Die Vorgängerbände muss man nicht kennen, um sich vom elften Band der Reihe fesseln zu lassen, die Kenntnis nützt jedoch dem Lesegenuss.

Nesbø hat es in teils leicht spöttischem Ton wieder geschafft, mir seinen soziopathischen Serienmörder direkt in den Nacken atmen zu lassen, so dass sich mir die Härchen dort steil aufstellten.