Verbissen

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aennie Avatar

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Für Harry Hole läuft alles in geregelten Bahnen. Er ist glücklich verheiratet mit Rakel. Oleg hat die Kurve bekommen und besucht die Polizeihochschule. Harry ist trocken und clean. Er fährt noch immer kein Ski, was für einen Norweger schon ungewöhnlich genug, für einen, der am Holmenkollen wohnt ganz und gar unglaublich ist. Und manchmal wacht er sogar auf, ohne, dass ihn in der Nacht die Schauerbilder vergangener Tage eingeholt haben: die unzähligen Mordopfer, die verlorenen Kollegen, ihre Schreie, ihre Entstellungen. Aber ganz weg sind sie eben noch nicht. Und Harrys „Denke“ erst recht nicht und deshalb gibt er schließlich nach, als sein alter Chef ihn um Mithilfe bittet bei einem aktuellen Fall und Harry eine subversive, kleine Ermittlungstruppe leiten soll.
Denn rätselhafte Morde beschäftigen die Osloer Abteilung für Gewaltverbrechen. Junge Frauen werden bestialisch ermordet, in ihren Wohnungen, Spuren eines Einbruchs gibt es nicht. Sie weisen alle merkwürdige Verwundungen auf, die nach kurzem nur einen Schluss zu lassen: offensichtlich ist ein Vampirist am Werk, offensichtlich sucht er seine Opfer über die App Tinder aus.
Da ansonsten vieles beim Alten geblieben ist bei der Osloer Polizei, Mikael Bellmann ist ein furchtbares, karriereversessenes Ekel wie eh und je, Truls Berntsen, niemand dem man trauen kann und alleine mit dem neuen Kommissar Anders Wyller in der Abteilung kann Leiterin Katrine Bratt einfach nicht viel ausrichten, muss eben Harry wieder ran. In bewährter Akribie und Gedankenschärfe zieht er Schlüsse, bemerkt Dinge, die andere übersehen und zieht Parallelen, wo andere nicht mal ungeordnete Geraden sahen. Schnell wird ihm klar, dass er diesen Täter kennt. Er kommt ihm immer näher, doch war es wirklich so einfach, so geradlinig? Oder wartet noch ein verborgener Plan hinter all dem? Falls dem so ein sollte wird dieser Fall Harry keine Ruhe gönnen.

Ich habe mich sehr auf den neuen Band der Harry-Hole-Reihe gefreut und bin nicht enttäuscht worden. Hier stimmt für mich einfach vieles wieder: zum Einen mag ich tatsächlich den „klaren“ Harry lieber, als den der mal wieder den Faden im Leben verloren hat – auch wenn es das ist, was ihn ausmacht. Zum Anderen fand ich den Fall hier wieder viel fesselnder als in den beiden Vorgängerbänden „Die Larve“ und „Koma“, die mich nicht so richtig begeistern konnten. Durst hingegen hat einen guten Spannungsbogen, eine schlüssige Rahmenhandlung, einen guten Fall an sich, eine schlüssige Auflösung (die ich irgendwann allerdings ahnte) und einen durchaus gelungen Effekt am Ende. Die Charaktere sind für mich „wunschgemäß“ – die alten Bekannten tun logisch fortgesetzt das, was sie in den anderen Bänden ausmachte. Anfangs war ich etwas skeptisch, weil mich das Motiv Oberkörpertattoo, künstliche Zähne, Opfer werden gebissen, sofort und unweigerlich natürlich den roten Drachen von Thomas Harris als Vorlage vor Augen führte. Glücklicherweise entwickelte es sich dann aber schnell in eine andere Richtung, so dass es bei den anfänglichen Parallelen blieb. Auch schön, dass „Durst“ mal ein stimmiger Titel für einen Krimi oder Thriller ist, das ist leider viel zu häufig nicht der Fall.

Fazit: ein guter bis sehr guter Band der Reihe, besser als die unmittelbaren Vorgänger. Er macht Lust, einen weiteren Harry Hole zu lesen, hoffentlich hat Jo Nesbo auch noch Lust, einen weiteren zu schreiben.