Apokalyptisches Kopfkino

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wolfgangb Avatar

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Das Ende der Menschheit steht unmittelbar bevor.
In vier Monaten wird sich eine Katastrophe ereignen, die unsere Spezies ausrotten wird.
Ein geheimes Forschungslabor in der Wüste Wyomings widmet sich der Untersuchung eines Portals in eine Parallelwelt, aus dem immer wieder rätselhafte Objekte zutage treten. Wie auch jenes, das den Blick in eine düstere Zukunft gewährt. Nachdem Paige Campbell, Mitarbeiterin des Projekts, gerät nach einer Unterredung mit dem US-Präsidenten in einen Hinterhalt und wird gefangengenommen. Doch zuvor gelingt es ihr noch, einen Hilferuf abzusetzen.
Wer steckt hinter der Verschwörung, die sich in die innersten Zirkel der Macht erstreckt?
Welches Ereignis wird die bevorstehende Katastrophe auslösen?
Und vor allem: Kann sie noch verhindert werden?

Mit "Dystopia" (Originaltitel: "Ghost Country") präsentiert der Amerikaner Patrick Lee den zweiten Teil seiner Trilogie um ein geheimnisvolles Weltentor. In 47 Kapiteln wird dabei der Handlungsfaden um Paige Campbell und ihre Mitstreiter, den aus dem Vorgängerband "Das Portal" bekannten Expolizisten Travis Chase und die Hackerin Bethany gesponnen und bis zum Zerreißen gespannt. Der Fortschritt verläuft linear, die erzählte Zeit entspricht weitgehend der Erzählzeit. Zeitdehnungen - also die erzählerische Zeitlupe - kommen bei Schießereien zum Einsatz, Zeitsprünge werden durch Abschnittswechsel realisiert. Ortsbeschreibungen fallen relativ knapp aus, was ob der bizarren Landschaften die Aufmerksamkeit des Lesers fordert. Die Figuren wirken zweidimensional, verfügen über wenig Innenleben, womit das Gewicht des Romans eindeutig auf Dialogen und filmreifer Action liegt. Die Spannung, von der er lebt, wird in erster Linie durch die Unkenntnis über das Wesen der menschheitsausrottenden Katastrophe erzeugt. Außerdem arbeitet der Autor sichtlich bemüht auf dieses Ziel hin, indem er dem Leser bewußt Informationen vorenthält.

Alles andere als subtil verweist der deutsche Titel auf das Genre, dem sich das Werk zugehörig verstanden wissen will. Als Dystopie bezeichnet man die Vision einer Gesellschaft, die sich im Gegensatz zur Utopie zum Negativen entwickelt, mit der Absicht, Fehlentwicklungen der Gegenwart aufzuzeigen. Als Klassiker gelten George Orwells "1984" oder Aldous Huxleys "Schöne neue Welt". Aber kann sich Patrick Lees Roman mit diesen vergleichen? Gewiß nicht, sind es doch keine soziologischen Anliegen, mit denen sich der Autor trägt. Vielmehr geht es ihm darum, ein bombastisches Stück Unterhaltungsliteratur vorzulegen und sich dabei mit nichts Geringerem als dem Weltuntergang zufrieden zu geben. Stephen Kings "The Stand" drängt sich somit als Maßstab auf, außerdem fühlt sich der Leser an Filme wie "I Am Legend" oder "Mad Max" erinnert. Hier überzeugt der Roman auch voll und ganz, kann Lee doch auf eine Vergangenheit als Hollywood-Drehbuchautor zurückblicken.

Kurzum, "Dystopia" verbreitet endzeitliche Stimmung für Freunde temporeicher Geschichten um alternative Wirklichkeiten und Zeitreisen und beansprucht einige Abende lang mehr die Leselampe als den Fernseher. Wiewohl auch als eigenständiger Roman zu lesen, weiß der Autor durch die Einbettung in eine Trilogie geschickt die Neugier des Lesers auf die großen Zusammenhänge, die gesamte Geschichte zu wecken.