Erleuchtung auf Knopfdruck

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marapaya Avatar

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Schon mal etwas vom Gottes-Algorithmus gehört? Nein? Und wie steht es mit Erleuchtung? Noch kein göttliches Erweckungserlebnis gehabt? Max Stoller geht es ähnlich. Mit Kirche, Glaube und dem ganzen Kram hat er nichts am Hut. Aber sein eigenes stupides Leben als saufender Bauingenieur findet er dennoch so erbärmlich, dass er sich fest vorgenommen hatte, über die Klinge zu springen, wäre ihm nicht die Betriebsfeier und ein klassischer Filmriss in die Quere gekommen. Also verschiebt er seinen Tod auf später, wenn der Kater überwunden ist. Doch der Selbstmord gerät stark ins Hintertreffen als er im Hof der neuen Nachbarin begegnet. Bei Stoller schlägt der Blitz ein und zwar ein göttlicher. Er hat eine Offenbarung und soll die Welt retten. Und irgendwie scheint das alles mit Anna und ihrem merkwürdigen Bruder zusammen zu hängen.
Naja, mag der ein oder andere bei dieser knappen Zusammenfassung denken, will ich jetzt wirklich einen knapp fünfhundert Seiten starken Roman über einen Spinner mit Gotteserlebnis lesen? Mike Engel macht es aber schon ganz geschickt. Er füttert seinen Leser mit kurzen Kapiteln an, in denen gerade soviel preis gegeben wird, um der Handlung zu folgen und die Neugierde wirken zu lassen. Die Figuren werden ganz allmählich ausgestaltet. Aus drei Perspektiven erhält man Einblick in die Handlung, weiß immer ein bisschen mehr als die einzelnen Figuren selbst und dennoch zu wenig, um alles sofort zu überblicken und einordnen zu können. Damit wird die Spannung gehalten. Und ehe man es sich versieht, hat man diesen grummeligen Typen ins Herz geschlossen und findet es selbst ganz spannend, wie er versucht mit seiner Mission umzugehen. Am Ende ist es ein Buch, indem der Autor mit einigen grundsätzlichen Fragen unseres Daseins aus verschiedenen Perspektiven jongliert und nicht von ungefähr finden sich Faust-Anspielungen im Text (u.a. ein Mepisto mit Flügeln) – Liebe vs. Glaube vs. Wissenschaft.
Mut zum Kürzen während des Lektorats hätte den Roman noch runder gemacht, so kommt er zuweilen recht sperrig und manchmal etwas langatmig daher. Ein wenig mehr sprachliche Würze und Raffinesse wünschte ich mir auch ab und an. Aber grundsätzlich hat mir der Aufbau der Handlung und der Figuren gefallen, die Richtung war mir nicht sofort klar und das mag ich an meiner Lektüre auch recht gern. Und trotz der vielen verschiedenen Verschwörungstheorien seiner verschrobenen Figuren blieb der Text glaubhaft, weil er eben mehr als eine Position beleuchtet.