Subjektive Unmöglichkeiten

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jenvo82 Avatar

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„Sie haben getan, was ein guter Verteidiger tut: Sie haben geredet, wo es zu reden galt. Und sie haben geschwiegen, wenn Schweigen das einzig Richtige war. Ein guter Verteidiger weiß, dass es nicht seine Aufgabe ist, Lücken der Anklage zu füllen.“

Inhalt

Hannes Jansen bekommt mit seinem derzeitigen Fall die Möglichkeit zugespielt, sich endlich als würdiger Nachfolger in seiner Kanzlei zu erweisen und damit in die Fußstapfen seines Chefs zu treten, der mit dem Gedanken liebäugelt sich allmählich von der vordersten Anwaltsfront zurückzuziehen, um seinen Ruhestand zu genießen. Umso wichtiger scheint ihm dieser Mordprozess, bei dem ein Polizist, ein Familienvater, ein angesehener Bürger angeklagt wurde, dass er einen bereits inhaftierten Afrikaner in seiner Zelle verbrannt haben soll. Ursprünglich wurde der Beschuldigte schon einmal freigesprochen, weil die Indizien nicht reichten, ihn den Mord zweifelsfrei nachzuweisen. Doch nun existiert ein neues Gutachten, bei dem die Pathologin Sophie Tauber eindeutig nachgewiesen hat, dass die Verbrennungen des Opfers nur durch Fremdeinwirkung und einen Brandbeschleuniger zustande gekommen sein können. Mit Erschrecken stellt Hannes fest, dass es sich bei seiner Kontrahentin vor Gericht um seine neue Bekanntschaft handelt, mit der er eigentlich eine Beziehung beginnen wollte, doch nun stehen sie auf gegnerischen Seiten und zwischen ihnen offenbaren sich ganz verschiedene Ansichten bezüglich Gerechtigkeit, Schuld und Moral. Schlagartig kühlt die erste Leidenschaft wieder ab, aber so ganz können sie nicht voneinander lassen, zumal sich immer mehr Schnittstellen zwischen Sophies Vergangenheit und der von Hannes ergeben …

Meinung

Nachdem ich vor kurzem mit absoluter Begeisterung „Die Wahrheit der Dinge“ gelesen habe, wollte ich unbedingt den vorherigen Roman des als Anwalt agierenden Schriftstellers Markus Thiele kennenlernen und bin mit entsprechend hoher Erwartungshaltung an die Lektüre herangetreten. Und zugegeben, sowohl der Schreibstil als auch der Plot an sich, bieten genau das richtige Maß an Unterhaltung, Spannung und tiefgreifenden Gedankengängen, die ich bei guter Belletristik zu schätzen weiß.

Gerade der Beruf des Strafverteidigers, mit seinen vielfältigen Aufgaben und der ständigen Belastung damit leben zu müssen, möglicherweise einen Mörder zu decken, bzw. dessen Strafmaß ausschlaggebend zu minimieren, wurde hier bestens und glaubwürdig umgesetzt. Insbesondere die Gesprächsanteile zwischen dem Seniorchef der Kanzlei und dem Hauptprotagonisten machen dabei deutlich, wie schmal der Grat zwischen moralischer Vertretbarkeit, tatsächlicher Schuld und gängigen Moralvorstellungen ist. Und dieser Zwiespalt scheint in der Berufsgruppe keine Ausnahme zu sein, sondern sich mit jedem Fall, mit jeder Gerichtsverhandlung zu verfestigen und klare Grenzen zwischen dem persönlichen Empfinden und den tatsächlichen Möglichkeiten der Verteidigung aufzuzeigen. Eine Vermischung zwischen Gesetz und Moral darf nicht erfolgen, wenn man als Strafverteidiger einen guten Job ausüben möchte.

Der Autor entwirft in diesem Roman zwei verschiedene Handlungsstränge, die zwar miteinander in Verbindung stehen, deren klare Zusammenhänge aber erst relativ spät im Text offenbart werden. Neben der gegenwärtigen Gerichtssituation und der Anbahnung einer Liebesbeziehung zwischen Anwalt und Pathologin, reist der Leser in die Vergangenheit und begleitet Sophies Mutter und Großmutter auf deren Lebensreise durch das nationalsozialistische Deutschland.

Mir persönlich hat dieser Schachzug von Markus Thiele nicht so gut gefallen, denn obwohl er das Unterhaltungsniveau des Buches aufwertet, geraten die beiden Handlungsstränge miteinander in Konflikt, insbesondere deswegen, weil sie sich stets abwechseln. Und wenn der Leser gedanklich bei der Judenverfolgung verweilt, schwenkt die Story wieder in den Gerichtsprozess, der damit in keiner direkten Verbindung steht, bzw. umgekehrt. Bei Thrillern mag ich diesen Wechsel zwischen dem Gestern und Heute immer ausgesprochen gern, hier hat mir dieses Spannungselement eher missfallen. Andererseits handelt es sich hier um Kritik auf hohem Niveau, denn über den Aufbau der Story kann man eigentlich nicht meckern und das Lesevergnügen bleibt trotz dieser Unterbrechungen gleichbleibend gut erhalten.

Fazit

Zu 5 Sternen reicht es diesmal nicht ganz aber es werden vier gute Punkte und eine Leseempfehlung meinerseits. Nach wie vor kann ich der Mischung zwischen Fiktion und Realität in der Verhandlungsführung und im Gerichtssaal viel abgewinnen. Im Nachwort richtet sich der Autor dann klar aus und beschreibt, die zu Grunde liegenden wahren Fälle, die er als Ideensammlung für den vorliegenden Roman genutzt hat.

Und darin liegt für mich auch der besondere Reiz der Bücher – weit über die Tatsachen hinaus entsteht eine berührende Geschichte, die sich mit wichtigen menschlichen Grundsatzfragen beschäftigt und den Leser mitnimmt auf die Gedankenreise zwischen Gut und Böse und diversen Schattierungen dazwischen. All die Dinge, die den Berufszweig der Juristerei so trocken erscheinen lassen, werden hier ausgeblendet und stattdessen so komprimiert dargestellt, dass man auch als Laie einen geschärften Blick fürs Detail bekommt. Markus Thiele steht auf meiner Watch-List, sehr gern verfolge ich seine weiteren Ausführungen der zeitgenössischen Gerichtsbarkeit und ihrer Stolpersteine.