Vom Umgang mit der Trauer

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christian1977 Avatar

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Als Markus seiner zwölfjährigen Tochter Sofie ein Ticket für das Konzert ihrer Lieblingssängerin in Stuttgart schenkt, ahnt er nicht, dass er damit ihr Todesurteil gesprochen hat. Denn Sofie ist eines der Opfer eines islamistischen Anschlags nach dem Konzert. Wie geht ein Vater mit den Schuldgefühlen um, die ihn nach dem Verlust des einzigen Kindes plagen? Was bedeutet ein solcher Verlust für eine Familie? Und wie kann man überhaupt weiterleben? Darüber schreibt Jan Costin Wagner in seinem neuen Roman "Eden", erschienen bei Galiani.

Jan Costin Wagner ist ohne Zweifel eine der aufregendsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Seine Krimireihe um den pädophilen Ermittler Ben Neven ist wohl so kontrovers und mutig wie derzeit keine andere im Genre. Mit "Eden" bewegt sich Wagner emotional und thematisch eher in Richtung seiner Kurzgeschichtensammlung "Sonnenspiegelung". Denn auch dort geht es um die großen Themen wie Liebe, Trauer, Tod und Schuld.

Wagner setzt in seinem neuen Roman auf eine multiperspektivische Herangehensweise. Hauptfigur ist der hinterbliebene Vater Markus, dessen Perspektive zusammen mit denen von Mutter Kerstin und Schulfreund Tobias ein psychologisch komplexes Bild vom Umgang mit der Trauer zeichnet. Bemerkenswert sind vor allem die Dialoge, die gleichzeitig so wenig wie viel sagen. Wagner deutet an, setzt auf Auslassungen und Satzfragmente, immer wieder stehen drei Pünktchen für das Unsagbare, das Unaussprechliche. Selbst der allwissende Erzähler passt sich dem zeitweise an, weil er selbst nicht aussprechen kann, was nicht sein darf. Es ist erstaunlich, mit welcher Tiefe sich die Emotionen der Figuren nicht nur durch dieses Stilmittel unmittelbar und intensiv auf die Leser übertragen.

Es schmerzt, wenn Markus und Kerstin so mit sich selbst und ihrem Verlust zu kämpfen haben, dass sie sich keinen Trost schenken können. Es schmerzt, wenn Tobias in seiner Trauer allein gelassen wird, weil seine Eltern irgendwo zwischen Alkohol und Arbeitslosigkeit dahindarben. Es ist herzzerreißend, wenn Markus in der leerstehenden Wohnung des Attentäters sitzt und diese für seine verstorbene Tochter anmieten möchte.

Neben den bereits angesprochenen Themen geht es Jan Costin Wagner auch um die Vergänglichkeit und das Ende der Kindheit. Während Tobias beispielsweise dazu gezwungen ist, mit seinen zwölf Jahren erwachsene Aufgaben wie die Pflege von Sofies Grab zu übernehmen, weil kein anderer dazu die Kraft hat, trägt Markus mit seiner Architekturfirma zum Abriss des Freibads bei, in dem er und Kerstin als Jugendliche zueinander fanden. Ganz zu schweigen natürlich vom jähen Ende von Sofies Kindheit. Die vielleicht traurigste Szene überhaupt ist jedoch, als Markus seiner dementen Schwiegermutter Sofies Tod verheimlicht, um diese in ihren letzten Tagen dem Schmerz nicht aussetzen zu wollen. Eher am Rande geht es zudem um die politischen Auswirkungen des Attentats, beispielsweise wenn Markus gemeinsam mit der Vorsitzenden einer rechtsgerichteten Partei an einer Talkshow teilnimmt. Oder wenn Tobias' Vater immer stärker nach rechts driftet und damit seine wenigen Freundschaften aufs Spiel setzt.

Bei aller Traurigkeit ist "Eden" dennoch kein ausschließlich düsteres Buch geworden. Immer wieder schimmert Warmherzigkeit durch, Liebe - und Hoffnung. Denn in der gemeinsamen Trauer bilden sich neue Verbindungen, neue Aussprachen und Chancen. Hier berührt insbesondere die Figur Tobias, die moralisch und emotional wächst und den Roman praktisch überstrahlt.

So ist "Eden" insgesamt ein funkelndes Juwel der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, dem es gelingt, die Leserschaft auf ganz verschiedenen Ebenen zu berühren und zum Nachdenken zu bewegen - ein abermals großer Wurf von Jan Costin Wagner.