Die Frage "Wie treffe ich Entscheidungen?" wurde noch selten so kurzweilig beantwortet!

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angie99 Avatar

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Schon die Idee dieses Romanes fand ich unheimlich originell: ein Dachboden, der Ehemänner ausspuckt! Nun ist es natürlich nicht das erste Buch, das mit möglichen Alternativen des aktuellen Lebensstils der Hauptperson spielt, auch nicht das erste, das mit einem „verzauberten“ Wohnungsteil, aufwartet (Kleiderschränke z.B. dienen gerne als Portale zu neuen Welten…). Trotzdem hörte sich die Prämisse für mich erfrischend anders an, als das meiste, das aktuell so am Büchermarkt herumschwirrt. Und die Lektüre hat mich nicht enttäuscht!

Das Buch beginnt ganz rasant, gleich auf der ersten Seite wird Lauren mit ihrem ersten Ehemann (von dem sie bis anhin gar nichts wusste), konfrontiert. Sie ist natürlich perplex, versucht erst einmal, sich den „Einbrecher“ vom Hals zu schaffen, stellt aber plötzlich weitere Unregelmäßigkeiten fest (ihr Sperrbildschirm zeigt plötzlich ein Bild von ihr, wie sie diesen fremden Mann umarmt).

Laurens Neugier und ihr unbändiger Wille, den mysteriösen Vorkommnissen auf die Spur zu kommen (und sie zu ihren eigenen Zwecken bestmöglich auszunutzen), hat mir von Anfang Spaß bereitet. Sie hat eine wunderbar selbstironische, anpackende und vorwärtsdenkende Art. Für jede noch so abstruse Situation findet sie eine Lösung – meistens ähnlich abstrus oder sogar noch einen Tick abstruser (darüber kann man natürlich genervt den Kopf schütteln, ich wiederum habe mich einfach köstlich amüsiert).

Außerdem zaubert Debütautorin Holly Gramazio nicht einfach nur einen Ehemann aus dem anderen aus dem Hut und lässt sie nach kürzerer oder längerer Zeit wieder verschwinden, sondern spielt mit der Situation an sich. Denn Lauren sitzt trotz der sich wiederholenden „Ehemann geht auf den Dachboden, neuer Ehemann kommt runter“-Situation nicht etwa in einer Zeitschleife fest. Die Welt um sie herum dreht sich munter weiter. Und damit auch die Konstanten in ihrem Leben (Nachbarn, Schwester, beste Freundin, Mutter,…) So lassen sich in wenigen (gut platzierten) Details die Auswirkungen von bestimmten, in der Vergangenheit getroffenen Entscheidung nachvollziehen – die Autorin beweist hier einen sehr cleveren und witzigen Umgang mit der skurillen Ausgangslage.
Ideenreich spielt sie die Möglichkeiten durch: Was, wenn sich mit dem Ehemann auch die freund- und nachbarschaftliche Beziehungen ändern – und vielleicht sogar deren Leben? Was, wenn ein „alter“ Ehemann plötzlich in einem neuen Lebensentwurf auftaucht? Was, wenn der neue Ehemann über das seltsame Dachboden-Phänomen mehr weiß, als Lauren recht ist? Was, wenn der Ehemann, der sich als unbrauchbar herausstellt, gar nicht mehr zurück auf den Dachboden will? – Einiges davon ist einfach nur unterhaltsam zu lesen, aber manches gibt auch durchaus Gedankenanstöße, die eigenen Entscheidungen zu hinterfragen.
Viele Ehemänner tauchen nur in einem halben Satz auf, weil Lauren sich aufgrund von scheinbaren Nebensächlichkeiten gegen sie entscheidet: doch geht es uns nicht genauso, dass viele Menschen in unseren Leben nur Halbsätze darstellen? Warum eigentlich?!

Ihr erster Buchentwurf habe 3 verschiedene Enden gehabt, erklärt Holly Gramazio in der Danksagung, und das verwundert nicht weiter. Ich selbst habe mich während der Lektüre permanent gefragt, wie diese Story wohl ausgehen mag, habe mit ähnlicher Neugier wie Lauren nach Anzeichen für eine solche oder andere Auflösung oder Wendung gesucht. Das eine, das dieser Roman nun bekommen hat, ist eine eher bodenständige Variante, nicht unbedingt ein Knaller, aber einfach konsequent zu Ende gedacht.

Überhaupt passt das Wort „konsequent“ hier ganz gut. Sprachlich zwar nicht allzu anspruchsvoll, aber doch immer hochwertig und plastisch. Durchwegs ein hohes Tempo und Spannungslevel, ohne abzuflachen. Von vorne nach hinten mit verrückten Ideen gespickt, die aber in sich schlüssig sind. Klare Verweise zu modernen Tinder-Funktionen, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben.

In meinen Augen „Unterhaltung as its best“, da es neben dem witzigen Plot auch genug Stoff zum Nachdenken gibt. Die Frage „Wie treffe ich Entscheidungen?“ wurde noch selten so kurzweilig beantwortet!