Noch 5 Sterne für den Klassiker der amerikanischen Literatur

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elke seifried Avatar

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Der Roman spielt in dem kleinen Dorf Sutton, nahe der Stadt New Marseils, in einem fiktiven, zwischen Alabama und Mississippi gelegenen Staat im Süden. Und dort heißt es: „Im Juni 1957 verließen aus noch ungeklärten Gründen sämtliche Neger den Staat. Heute ist es der einzige Bundesstaat, unter dessen Einwohnern sich kein einziger Neger befindet.“

»Wohlgemerkt: Ich bin keiner von diesen abergläubischen Schwätzern, ich glaube nicht an Geister und so weiter. Für mich ist das rein genetisch: etwas Besonderes im Blut. Und wenn irgendjemand auf der Welt etwas Besonderes im Blut hat, dann Tucker Caliban.« Er senkte die Stimme, bis sie beinahe ein Flüstern war. »Ich sehe geradezu, wie es gewartet hat: Es hat geschlafen, und eines Tages ist es aufgewacht und hat Tucker tun lassen, was er getan hat. Kann gar nicht anders sein. Wir hatten nie irgendwelchen Ärger mit ihm, genauso wenig wie er mit uns. Aber auf einmal hat das Blut in seinen Adern aufbegehrt, und er hat diese … diese Revolution angefangen.“ So erklärt Mister Harper, bei seiner täglichen Ansprache auf der Veranda den Umstehenden, was sie wenig vorher mit eigenen Augen ansehen mussten. Ohne ersichtlichen Grund streut der junge, afroamerikanische Farmer Tucker Caliban, Nachkomme der Sklaven der Großgrundbesitzerfamilie Willson, an einem Tag im Juni 1957 Salz auf seine Felder, erschießt sein Vieh, fällt einen Baum und verbrennt sein Haus. Anschließend macht er sich mit Frau und Kind auf den Weg, den Bundesstaat zu verlassen und gen Norden zu ziehen. Damit löst er eine Welle aus, denn alle anderen Farbigen der Umgebung folgen seinem Beispiel.
Dass, „Und sie hatten die Erklärung des Gouverneurs gelesen: »Es gibt keinen Grund zur Sorge. Wir haben sie nie gewollt, wir haben sie nie gebraucht, und wir werden sehr gut ohne sie zurechtkommen; der Süden wird sehr gut ohne sie zurechtkommen. Auch wenn unsere Bevölkerungszahl um ein Drittel verringert ist, werden wir prima zurechtkommen. Es sind noch immer genug gute Männer da.«“, sich nicht bewahrheiten wird, wird nach und nach eindrücklich klar.

Als Leser darf man den bewegungslosen, weißen Bewohnern der Stadt Trucker Calibans Tun zusehen, auch dabei wie sich anschließend eine Familie nach der anderen auf den Weg macht und darf dann mit ihnen darüber grübeln, warum Trucker getan hat, was er gemacht hat. Es wird nach Erklärungen gesucht, die mit der des gewalttätigen Sklavenblutes von seinen Vorfahren ist nur eine davon. Man darf Leute kennenlernen, die in die Stadt kommen und nach Gründen suchen und man erhält Einblicke in die Familiengeschichte der Willsons, in die Beziehung der einzelnen Mitglieder zu Trucker und dessen Ehefrau. Am Ende wird man schließlich Zeuge davon, wie die Situation eskaliert.

„Das Rassenproblem Amerikas ist ein weißes Problem“, das will der Autor wohl mit seinem Roman verdeutlichen in dem er die Handlung des Romans, die zwar durch die autonomen Entscheidungen der Afroamerikaner gelenkt wird, vollständig aus der Perspektive der Weißen erzählen lässt. So darf nach und nach ein jeder mit seinen Erinnerungen und Erlebnissen, die das Verhältnis zwischen den Weißen und der Familie der Calibans geprägt haben, zu Wort kommen, was mir gut gefallen hat. Mit Ironie, Sarkasmus, ja fast schon als eine Art Satire stellt er die Überheblichkeit der Weißen dar. Da kann schon einmal ein „Ich war perplex. Sie sah nicht aus wie ein Hausmädchen. Hausmädchen sind dick und schwarz und haben einen schweren Negerakzent.“, kommen. Formulierungen wie „Doch sein Selbstvertrauen war bereits in kleinen öligen Tropfen aus ihm herausgesickert,“ die man sich geradezu auf der Zunge zergehen lassen kann, machen diesen Roman in meinen Augen zudem stilistisch zu etwas Besonderem. Manche Schilderungen haben mich vor Brutalität den Atem anhalten lassen, wie z.B. „Er erzählte ihm alles, was in den vergangenen Tagen passiert war, aber Walter kapierte nur, dass Tiere erschossen worden waren und das Blut aus ihnen gespritzt war wie Wasser aus einem Ballon. Das hätte er gern gesehen. Mister Leland versicherte ihm, es sei tatsächlich ein toller Anblick gewesen.“ Der Autor bietet mit seiner Geschichte an sich schon ganz viele Denkanlässe, aber auch solche Erklärungen wie „Kein Wort ist von vornherein schlecht. Es ist bloß ein Wort, und dann geben die Leute ihm eine Bedeutung. Es kann sein, dass du es gar nicht so meinst, wie die anderen Leute es verstehen.“, wenn es um die Verwendung des Begriffs „Nigger“ geht „Es ist schwer für ihn Jeder hier gebraucht es. Sogar mir fällt es schwer, es nicht zu gebrauchen.“, sind vielfach zu finden.

Die Figuren sind allesamt interessant und gelungen dargestellt. Da gibt es z.B. einen Mister Harper, der morgens um acht seine Ansprachen hält. „Vor dreißig Jahren war er zu dem Schluss gekommen, das Leben sei es nicht wert, dass man ihm stehend gegenübertrat, denn es schlug einen ja doch bloß nieder, und so hatte er sich in den Rollstuhl gesetzt, betrachtete die Welt fortan von der Veranda aus und erklärte ihr willkürliches Wirken den Männern, die sich täglich um ihn scharten. In all den Jahren hatte er diesen Stuhl vor den Augen der Welt nur einmal verlassen – und zwar am vergangenen Donnerstag, um sich Tucker Calibans Farm anzusehen.“, der besonderen Einfluss hat. Dewey Willson hat mir stellenweise fast schon leid getan aufgrund seines fehlenden Mutes und besonders gut hat mir z.B. auch ein Mr. Leland, der achtjährige Knirps gefallen, der seinen kindlichen Blick auf das Geschehen wirft.

Diese Ausgabe wird mit einem ausladenden Vorwort, das über die Entstehung und Bedeutung des Romans, der bereits im Jahr 1962 unter dem Originaltitel A Different Drummer, erschienen ist, eingeleitet. Zudem wird hier schon viel über Erzählabsicht und Stil referiert, was mir persönlich vielleicht fast ein wenig zu viel vorweggenommen hat, sicher aber das Lesen des nicht ganz einfachen Romans erheblich erleichtern mag. Im Anschluss kommt auch noch die Tochter des Autors zu Wort, die über das Leben Kellys berichtet.

Alles in allem ein Werk, das sicher wert ist, neu verlegt und gelesen zu werden, da gibt es von mir noch fünf Sterne.